Ein media:net Spotlight von Sibylle Trost, Insights Media Tours
Vortrag zum Safer Internet Day 2017 zur Veranstaltung „Technik ist keine Religion“ in der Fachstelle für Suchtprävention Berlin.
Mediennutzer sind in Zeiten der FAKE-News mehr denn je gefordert, aus der Flut von Daten, Bildern, Fakten, Lügen auszuwählen, um zu durchschauen, wie sie an ihren Gefühlen gepackt werden. Wer will schon anderen auf den Leim gehen, Falschmeldungen weiter klicken und damit Betrüger zu Millionären machen?! Kinder und Jugendliche lassen sich von Medieninhalten gern berieseln, doch längst ist das, was in ihre Hirne und Herzen hinein fließt, nicht mehr unbedenklich genießbar. Der Bilderbrei, der aus den neuen Fläschchen Pad, Pod und Phone fließt, ist nicht sorgsam mit Ökosiegel auf Allergene untersucht. Er enthält ungefiltert alles, was eine milliardenschwere Medienindustrie, politische Gruppen, Guerilla-Marketing Aktivisten, gute und schlechte Journalisten, Hacker, Gauner und andere stündlich einstellen.
Wer heute Medien nutzt, hat viel Arbeit. Er muss lernen zu erkennen, was andere verschleiern. Denn im Internet vermischt sich alles. Die Grenzen der Genres verschwimmen. Was ist noch klar erkennbar? Was ist eine Nachricht? Was sind Meldungen? Was unterscheidet eine Meinung von einem Bericht? Die journalistische, faktische Sprache übernimmt Formulierungen aus dem Marketing. Schlagzeilen in Nachrichten und Reportagen eifern um den spannendsten Aufmacher im Wettlauf der Headlines und Keywords, die möglichst viele Nutzer klicken lassen. Bilder und Videos sprechen gezielt die Gefühlswelten der Nutzer, Leser und Zuschauer an. Provozierende Überschriften, überraschende Fotos, primitive Gefühle wie Neid, Missgunst, Schadenfreude. Meldungen sind oft plakativ und werden nicht sachlich, sondern dramatisch vorgetragen. Reiz-Worte erwecken Neugier und Spannung, damit der ungeduldige, überfütterte Nutzer einige Sekunden am Ball bleibt. Werkzeuge aus fiktionaler Dramaturgie und Marketing werden in vielen Bereichen angewendet, unterstützt von Computersystemen, die die am häufigsten geklickten Worte und Themen auf Knopfdruck ausspucken.
Warum ist das so? Offensichtlich taugt das Internet gut als Geldmaschine und Marketingplattform? Wie einträglich es funktioniert, haben eine Gruppe mazedonischer Computerfreaks gezeigt, die laut Bericht der ARD Tagesthemen vom Dezember 2016, im Wahlkampf der USA mit suchmaschinenoptimierten Reizworten FAKE-News ins Netz stellten, durch deren virale Verbreitung sie nach eigenen Angaben etwa 5000 Euro am Tag verdienten und die Welt dabei in Atem hielten.
Was ist REAL und was ist FAKE? Wann sind Falschmeldungen gefährlich? Lügen und Verleumdungen als kurze FAKE-News über die sozialen Netzwerke gepostet – und von Usern tausend- bis millionenfach geteilt – haben weltpolitisch bereits zur Androhung eines Atomschlags geführt, zu Verleumdungen, Verfolgungen und Misshandlungen. Politikern werden Worte untergeschoben, die sie nie gesagt haben; Menschen auf Fotos lebensgefährlich manipuliert und in falschen Kontext gesetzt. Die Glaubwürdigkeit des Journalismus steht auf dem Spiel. Sind sie nicht traditionell die Hüter des geschriebenen Wortes? Obwohl die Bezeichnung des „Journalisten“ in Deutschland kein geschützter Beruf ist?!
Was können Eltern und Lehrer*innen heute Kindern und Jugendlichen in Bezug auf Medienkompetenz und –kritik beibringen? Welchen Meldungen können sie noch trauen? Wie noch unterscheiden, ob es sich um eine recherchierte Nachricht, eine emotionale Meinungsäußerung oder eine gefälschte Meldung handelt? Es gibt Lichtblicke: Rechercheteams investigativer Journalisten überprüfen die Fakten wie der Investigativ-Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung und die Teams anderer Leitmedien.
Die wichtigste Botschaft an die jungen Mediennutzer lautet: Erst checken, dann klicken! Es gilt, eine reißerische Meldung genau unter die Lupe zu nehmen, anstatt sie einfach emotional weiter zu klicken oder zu liken. Die automatische Bewegung mit dem Finger ist eine Positionierung, die Schaden anrichten kann. Viele Beispiele zeigten bereits, wie gefährlich FAKE-News für die Sicherheit einzelner, den Weltfrieden und die Demokratie sein können.
Die Währung des Internet ist die Aufmerksamkeit. Hohe Klickzahlen machen nicht nur den einzelnen YouTuber stolz, sondern sie machen auch jene reich und mächtig, die mit Reizworten absichtlich FAKE-News setzen. Also: Köpfchen einschalten und die Internetkommunikation auseinandernehmen wie ein altes Kofferradio. Nach dem Kommunikationsmodell „Sender–Nachricht–Empfänger“ lässt sich gut ein erster Faktencheck durchführen. (1) WER hat die Meldung ins Netz gestellt? Gibt es ein Impressum? (2) WAS wird gesagt? Handelt es sich um Zahlen, Daten, Fakten oder um Meinungen? Sind die Belege glaubhaft? (3) WIE wahr sind Bilder und Videos? Stammen sie bereits aus einem anderen Kontext? (4) WER soll erreicht werden? An wen richtet sich die Meldung? Dient sie der Stimmungsmache? Verfolgt sie eine Absicht? Lässt sie den Nutzer eine eigene Einschätzung vornehmen oder will sie überzeugen und manipulieren?
Ein Gedanke zum Schluss: Wie viel investiert Deutschland in die Schulung von Medienkompetenz? Aus den Fragen der Eltern, Lehrer und Schüler wird deutlich: Medienkompetenz sichert Demokratie und Unabhängigkeit.
Sibylle Trost ist Journalistin für Print und Fernsehen (u.a. ZDF „37 Grad“, ZEIT Leo) und veranstaltet mit Insights Media Tours www.insights.berlin Workshops und Touren hinter die Kulissen der Medienbranche.
Die Spotlight-Beiträge sind Gastbeiträge unserer Mitgliedsunternehmen. Die veröffentlichten Artikel geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Datum: 10.03.17