- Andreas Lange, heute beginnt das fünfte Gamefest im Computerspielemuseum, dass Sie in Kooperation mit der Stiftung Digitale Spielekultur veranstalten. Was erwartet uns?
- Andreas Lange In unserem Jubiläumsjahr des 20jährigen Bestehens präsentieren wir mit der mittlerweile siebten Ausgabe des Gamefest wieder einen bunten Strauß überraschender Events rund um die Kultur der Games. So kann eine interaktive Ausstellung zu Homebrew Games erlebt werden, in der aktuelle Spiele für historische Konsolen gespielt werden können. Als ein weiteres Highlight lassen Protagonisten der Deutschen Gamesindustrie das Publikum in zwei Gesprächsrunden an ihren Erfahrungen aus vier Jahrzehnten Gamesentwicklung teilhaben. Dazu bieten wir wieder bereits legendäre Kultformate wie den Stay Forever Live Blog mit Christian Schmidt und Gunnar Lott oder die Nacht des Nacherzählten Spiels.
- 60 Jahre Entwicklungsgeschichte stecken in Games, lese ich auf der Seite des Computerspielemuseums. Wie sieht die Evolution von digitalen Spielen aus? Wohin entwickeln sich Games, Player und Branche?
- Andreas Lange Ein durchgängiger Trend ist sicher, dass Games von immer mehr Menschen gespielt werden, sich also aus einer exklusiven Nische hin zu einer normalen Alltagskultur entwickelt haben. Diese Entwicklung hat durch den Siegeszug der Handys als Spieleplattform noch mal einen ordentlichen Schub bekommen. Eine weitere gerade für uns Sammler wichtige Entwicklung ist die Ablösung der Distribution auf physikalischen Datenträgern durch Onlinedistribution. Überhaupt hat natürlich das vernetzte Spielen durch die Ausbreitung des Internets die Games näher zu ihren analogen Verwandten gebracht, die ja auch vorwiegend gemeinsam gespielt werden.
- Für die Zukunft sehe ich noch viel kreatives Potential bei den Augmented Reality Games, also den Spielen, die Realraum und digitalen Spielraum miteinander vernetzen. Genau ein solches Spiel werden wir, gefördert vom Medienboard Berlin Brandenburg, am Gamefest als spielerisches Vermittlungsangebot offiziell einführen.
- Peter Tscherne, die Stiftung Digitale Spielekultur unterstützt den Deutschen Computerspielepreis. Der am Mittwoch verliehene Preis mit 434 Einreichungen, 27 Nominierten und 14 Gewinnern – darunter 2 Nachwuchskonzeptsieger aus Berlin – steht auch für Games als Kulturgut und die Innovationskraft von Computerspielen “Made in Germany”. Welches Gamesgenre hat die größte Innovations- und Entwicklungskurve verzeichnet?
- Peter Tscherne Die Landschaft der digitalen Spiele unterliegt einem dauerhaften Wandel. Die immense Innovationskraft der Branche – etwa von Virtual und Augmented Reality oder Open-World Konzepten – beschränkt sich dabei aus meiner Sicht nicht auf ein einzelnes Genre, sondern bereichert traditionelle Genres wie das Jump’n’Run ebenso wie neuartige Mixed Reality-Simulationen oder Serious Games. Spannend ist besonders bei den beiden letzteren, dass digitale Spiele verstärkt Menschen erreichen, die sich selbst nicht als Spielerin oder Spieler begreifen. Dies konnte man zum einen beim Augmented Reality-Hit Pokemon Go beachten, der weltweit Menschen verschiedenster Hintergründe zum Spielen auf die Straße brachte. Zum anderen zeigen es die zahlreichen Serious Games, die in Firmen, Behörden und Bildungseinrichtungen zum Einsatz kommen, etwa in der Sprachausbildung von Flüchtlingskindern oder zur Simulation von Kundengesprächen in Betrieben. Digitale Spiele entwickeln sich demnach nicht nur als reines Unterhaltungsmedium erzählerisch und technisch stetig weiter, sondern bereichern auch die anderen Bereiche unserer Gesellschaft.
- Spielend Lernen mit Games: Welche Maßnahmen und Förderungen zur digitalen Bildung sind aus Ihrer Sicht wichtig, Herr Tscherne? Hardware alleine reicht ja nicht …
- Peter Tscherne Viele Eltern und Lehrkräfte kennen die Potenziale des Mediums digitales Spiel hinsichtlich Vermittlung von Bildungsinhalten, Erlernen von Soft Skills etc. gar nicht. Dabei können digitale Spiele Jugendlichen wichtige Dinge beibringen, die sie als Ergänzung von traditionellen Bildungsmedien unglaublich wertvoll machen. In Spielen erleben sie Selbstwirksamkeit, Kompetenz und Kreativität, können sich in Spielewelten ausprobieren und diese nach eigenem Interesse erkunden. Auf den Einsatz von digitalen Spielen zu verzichten, bedeutet auch, auf ein Leitmedium des 21. Jahrhunderts zu verzichten (siehe auch Digitale Spiele in der Schule).
- Daher sollten konkrete Aus- und Weiterbildungsangebote sowie geeignetes didaktisches Material für Lehrkräfte geschaffen werden. Wir haben z.B. genau zu diesem Zweck das Portal www.digitale-spielewelten.de gegründet, auf dem dieses Material kostenfrei zur Verfügung steht. Der Bedarf lässt sich auch auf die Ausbildung von Lehramtsstudentinnen und -studenten ausweiten, die im Studium selten mit den didaktischen Potenzialen von Spielen bekannt gemacht werden.
- Und natürlich gehören auch die Hardware und infrastrukturelle Notwendigkeiten wie ausreichend schnelles Internet für alle Schülerinnen und Schüler dazu. Darüber hinaus haben viele Träger noch datenschutzrechtliche Bedenken beim Umgang mit mobilen Geräten und Unsicherheiten bei der Verwendung lizenzrechtlich geschützter Spiele. Diesen Bedenken muss politisch und rechtlich begegnet werden, damit Lehrkräfte sich nicht in Grauzonen bewegen.
- Herr Lange, Herr Tscherne, was war der Auslöser für die Menge an hochqualitativen, visuell und inhaltlich anspruchsvollen digitalen Spielen für wirklich jede Altersgruppe, Gesellschaftsschicht, Budget und Interesse: Von der Sandmännchen-Spiele-App, zur Marsbesiedelungs-Simulation für Profi-Astronauten und Hobby-Raumfahrer bis zu Serious Games für Demenzpatienten?
- Andreas Lange Neben der permanenten Leistungssteigerung bei den technischen Plattformen, ist meiner Meinung auch das Erwachsenwerden der Industrie gerade für anspruchsvolle Spielinhalte verantwortlich. Auch wenn schon in den frühen 1980’er Jahren z.B. sehr niveauvolle Textadventures wie zum Beispiel “The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy” von Douglas Adams sehr erfolgreich verkauft wurden, ist es bei der Gamesindustrie wie bei anderen kreativen Industrien wie z.B. beim Film. Je mehr sich handwerkliche Techniken aber auch Erzählarten herausbilden und etablieren, je intelligenter gehen die Produzenten damit um, da auch das Publikum anspruchsvoller wird. Dazu beigetragen haben sicher die vielen neuen Ausbildungsangebote für Gamedesigner, die weltweit mittlerweile auf hohem akademischen Niveau angeboten werden.
- Peter Tscherne Sicherlich sind die Barrieren für Entwicklerinnen und Entwickler heute deutlich niedriger als noch vor 10-20 Jahren. Kleine Teams können große Hits entwickeln, siehe z.B. Minecraft, Inside oder Shadow Tactics. Und die Bandbreite der Themen ist immens gewachsen in den letzten Jahren, da die Entwicklerinnen und Entwickler immer weitere und neue gesellschaftliche Themen für ihre Spiele entdeckt haben. Es gibt kaum ein Thema mehr, dass noch nicht in einem Videospiel behandelt wurde: ob Kolonialismus (Curious Expedition), Moderne Piraterie (Cutthroat Capitalism), Immigration (Papers, Please), Flucht und Migration (Cloud Chasers, Cargo, siehe auch Digitale Spiele und Flucht), Depression (Depression Quest), Krebs (That Dragon, Cancer), Rassismus (On Rusty Trails) etc., auch wirklich schwierige und ernste Themen werden immer häufiger über digitale Spiele behandelt. Durch Interaktivität und Immersion sind hier aus meiner Sicht ganz neue didaktische Ansätze und Konzepte möglich.
Profil von Computerspielemuseum
030 31164470 philipp.frei@computerspielemuseum.de http://www.computerspielemuseum.de/Das Museum wurde vom fjs e.V. gegründet und eröffnete 1997 in Berlin die weltweit erste ständige Ausstellung zur digitalen interaktiven Unterhaltungskultur. Seitdem war es für über 50 nationale und internationale Ausstellungen verantwortlich.
ProfilProfil von Stiftung Digitale Spielekultur gGmbH
030 29049290 uzunoglu@stiftung-digitale-spielekultur.de http://www.stiftung-digitale-spielekultur.de/Die Stiftung Digitale Spielekultur zeigt und vermittelt wirtschaftliche, technologische, kulturelle und gesellschaftliche Potenziale digitaler Spiele. Zu diesem Zweck initiiert sie Projekte, entwickelt Formate und schließt Kooperationen. Sie geht auf eine gemeinsame Initiative des Deutschen Bundestages und der deutschen Computer- und Videospielbranche zurück.
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