Die Filmfeste im Land Brandenburg finden zwar erst in der 2. Jahreshälfte statt, aber die Vorbereitungen sind naturgemäß in vollem Gange. Welche inhaltlichen Schwerpunkte werden 2018 in Cottbus, Eberswalde und Bad Saarow gesetzt, dürfen wir uns auf Neues freuen?
Bernd Buder: Die Recherchen für unsere insgesamt vier Wettbewerbe und zahleichen Nebensektionen – vom Blick auf den aktuellen georgischen Film, ein Land, das dieses Jahr ja auch auf der Frankfurter Buchmesse im Vordergrund steht, bis zu sorbischen Themen in der Sektion „Heimat / Domownja / Domozina“ – sind bereits in vollem Gange. Wenn sich die Ausbeute weiter so entwickelt, können wir das Publikum wieder mit knapp 200 interessanten, ganz unterschiedlichen Filmen überraschen. Cottbus wird in diesem Jahr auch stark auf die Ukraine schauen, ein Land voller Konflikte und mit einer sehr gespaltenen Filmszene. Wir erwarten Filme und Filmemacher, die uns teilnehmen lassen sowohl am widerspruchsvollen Versuch, sich europäischen Werten anzunähern, als auch Identität in der eigenen Geschichte zu suchen. Einen weiteren Schwerpunkt widmen wir der Region Schlesien. Egal ob im polnischen oder tschechischen Teil – multikulturell ist das eine sehr spannende Region und wir wissen noch viel zu wenig darüber. Und es gibt eine besondere Parallele gerade zur Lausitz: Während Schlesien lange abhängig war von der Steinkohle, war es die Lausitz von der Braunkohle. Die tiefgreifenden Strukturwandel verändern die Region grundlegend, die Natur und die hier lebenden Menschen. Dies auch mit filmkünstlerischen Mitteln zu begleiten und zu dokumentieren, ist eine besondere Herausforderung und wir geben mit unserem Festival eine wichtige Plattform für Information und Diskussion. Unser Ehrenpräsident Istvan Szabo feiert in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag und wir sind stolz, dass er im November in Cottbus dabei sein wird.
Kenneth Anders: Wir geben in den nächsten Tagen den Call for Entries heraus, der zur Einreichung von Filmen in vier Wettbewerben einlädt: langer und kurzer Dokumentarfilm, Kurzspielfilm und Animation. Am 6. Oktober geht es wieder los und bis dahin ist noch viel zu tun, vor allem: die fast tausend Filme zu sichten. Unser zentrales Thema ist die Provinz. Wir verstehen aber Provinz nicht als etwas Zurückgebliebenes, Beschauliches oder unbedingt Ländliches. Vielmehr sind wir an Filmen interessiert, die erkunden, wie Menschen sich auf Räume einlassen. Ob sie fliehen oder sich in ihnen festsetzen. Ob sie eine Chance auf Sesshaftigkeit sehen und was das mit ihnen macht. Wir stellen fest, dass sich dieses Profil über die letzten Jahre immer mehr geschärft hat. Das freut uns natürlich. In diesem Jahr werden wir 15 Jahre alt und das wollen wir schon ein wenig feiern. Wir werden wieder einen neuen Künstler für die Gestaltung unseres Tores zur Provinz und des Heimatfensters einladen und haben uns entschieden, die lange Nacht des Bauernfilms mit der Künstlerin Antje Schiffers zu einem dauerhaften Bestandteil der Provinziale zu machen. Neu ist für uns dabei, dass wir zum ersten Mal eine Eigenproduktion auf den Weg bringen, die in diesem Rahmen gezeigt wird.
Susanne Suermondt: In diesem Jahr beginnt unser Filmfest bereits am Donnerstag und ist damit einen Tag länger als bisher. Wir beschäftigen uns mit dem Thema Anstand. Es geht um Haltungen und Werte. Unser Filmfest findet auf dem Gut Eibenhof direkt am Scharmützelsee in Bad Saarow statt. Es ist ein magischer Ort, der zum Verweilen einlädt. Wir haben nur eine Spielstätte im Gegensatz zu anderen Festivals, sind viel kleiner. Das ist, was die Besucher an unserem Filmfest schätzen – man kommt nicht nur zum Filme anschauen, man sucht das direkte Gespräch mit den Filmschaffenden, kann sich in der Ruhe der Natur austauschen. Das zieht seit nunmehr 5 Jahren immer mehr Besucher an. Der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase ist dieser Region stark verbunden und wir widmen Kohlhaase, der auch unserem Filmfest vom ersten Jahr an sehr verbunden ist, eine spezielle kleine Filmreihe. Der Regisseur Lars Kraume, auf der diesjährigen Berlinale hat sein aktueller Kinofilm „Das schweigende Klassenzimmer“ Weltpremiere, ist seit kurzem Beiratsmitglied und wird diesen Film natürlich auch in Bad Saarow präsentieren, berührt er doch unser Thema Anstand in ganz besonderer Weise.
Worin sehen Sie die Bedeutung und Anziehungskraft Ihrer Festivals?
Bernd Buder: Ich denke, es sind die sehr spezifischen Themen, die wir aufgreifen und die vielfältigen Gesprächsangebote. Das Licht geht an, und wenn sonst sich die Säle in Windeseile leeren, dann laden wir zum Bleiben ein, zum Dialog, der auch mal ein kraftvolles Streitgespräch sein kann. Wie Kenneth sagt, etwas, das im Gedächtnis bleibt. Unser Schwerpunkt Osteuropa bietet ein gewaltiges Themenspektrum. Da bleibt es nicht bei Gesprächen über rein künstlerische oder ästhetische Fragen, wir entwickeln uns immer mehr auch zu einem politischen Festival. Kritischen Fragen zur Zukunft der EU oder zur Rolle der Zivilgesellschaft in Osteuropa stellen sich gerade auch junge Filmemacher seit Jahren und oft sind es die eher „kleinen“ Festivals, die ihnen ein erstes internationales Podium geben.
Kenneth Anders: Ein Filmfest öffnet für ein paar Tage die Herzen und Sinne des Publikums. Die Leute schauen sich in diesem Zeitraum Filme an, für die sie sonst keine Nerven haben. Es ist uns vielleicht gelungen, diese besondere Zeit für alle Beteiligten zu einem Gewinn zu machen, der auch Monate später noch im Gedächtnis bleibt.
Susanne Suermondt: Bei unserem Filmfest ist der Aspekt der Ruhe und des sehr bewussten Verweilens besonders zu spüren. Im Gegensatz zu den anderen haben wir nur eine Spielstätte. Unsere Gäste müssen sich nicht permanent zwischen Aufführungsorten oder auch Themen entscheiden. Filme in Ruhe ansehen, bleiben können und sich austauschen, das schätzen sie. Der Hektik des Alltags für einen Moment entfliehen zu können und das auch an einem landschaftlich so reizvollen Ort.
Brauchen wir solche Festivals auch in der Zukunft?
Kenneth Anders: Ich finde, „brauchen“ ist ein sehr starkes Wort. Was braucht man nicht alles? Sagen wir: Filmfeste wie unsere tun den Gesellschaften, die sie veranstalten, gut. Sie machen sie aufmerksam und kritisch, befähigen sie aber auch zur Empathie. Das ist schon etwas Schönes und ja: es ist in gewisser Hinsicht auch notwendig.
Susanne Suermondt: Ja, wir wollen sie, weil sie regionale Höhepunkte geworden sind, weil sie Menschen zusammen bringen und Denkanstöße geben können. Filmemacher erhalten ein wichtiges Podium für den unmittelbaren Austausch mit dem Publikum und auch untereinander. Möglichkeiten, die Streamingdienste nicht bieten können, das schafft nur das Kino.
Bernd Buder: Gerade das Filmfest Cottbus lebt von einer besonderen thematischen Bandbereitete. Jahr für Jahr entstehen im osteuropäischen Raum so viele neue Filme, die gezeigt werden wollen und müssen. Hier haben wir auch eine große kulturpolitische Verantwortung übernommen. Dieser Vorreiterrolle möchten wir auch weiterhin gerecht werden und den Filmthemenstrauß sogar noch bunter binden.
Gibt es Filme, die von Brandenburg aus eine internationale Erfolgsreise antreten konnten?
Bernd Buder: Auf unserem Koproduktionsmarkt connecting cottbus stellen wir seit fast 20 Jahren jedes Jahr neue Projekte aus Osteuropa vor, die in Cottbus Koproduzenten und Förderer suchen, oder damit erstmals einem Fachpublikum bekannt gemacht werden. Viele davon werden später zu Filmen, laufen in den Wettbewerben großer Festivals wie Cannes, Berlin, Karlovy Vary, um anschließend ihre Reise durch die internationale Festivallandschaft und ins Kino anzutreten. Die Quote der realisierten Projekte liegt bei etwa 70 Prozent. Daneben gibt es auch viele Filme, die hier erstmals laufen, von Scouts anderer Festivals entdeckt werden und sich so weiterempfehlen. Andere Filmemacher kriegen wiederum Rückenwind bei der heimischen Filmförderung, wenn sie in Cottbus laufen. Als ich vor zwei Jahren beim nationalen polnischen Filmfestival in Gdynia war, hingen da lauter Plakate von Filmen, die in Cottbus dabei waren und Preise gewonnen haben, und die Verleiher hatten zur Werbung über dem Filmtitel das Logo und den Schriftzug des FilmFestival Cottbus im Palmenkranz gedruckt – das war schön, zu sehen, dass es in der Welt etwas bedeutet, bei uns Cottbus dabei gewesen zu sein.
Kenneth Anders: Ob es wirklich so einen unmittelbaren Zusammenhang gibt, kann ich nicht sagen. Ich hoffe aber, dass Filmemacher wie Tobias Müller, Ingo Baltes, Vic Rawlings, Miriam Fassbender oder Christiane Schmidt und Didier Guillain den Rückenwind gespürt haben, der sich aus dem Feedback bei der Provinziale ergab. Das gilt natürlich auch für die Aufmerksamkeit anderer Festivals und neue Produktionen. Wir lernen von den anderen, warum sollten die anderen nicht auch schauen, was wir zeigen?
Susanne Suermondt: Eine Erfolgsreise von Bad Saarow aus “angetreten”, nein, das hat wohl noch kein Film, wir sind aber schon froh, dass die Filme hier erfolgreich ihre Reise unterbrechen und wir sie zeigen können.
Seit wann sind Sie im Festivalteam, was schätzen Sie ganz persönlich an „ihrem“ Festival?
Kenneth Anders: Ich bin vor neun Jahren dazu gestoßen, war allerdings im ersten Jahr schon mal mit von der Partie. Die Provinziale ist der beste kollektive Lernprozess, den ich kenne – das Team, das Publikum, die Förderer, alle haben sich weiterentwickelt. So etwas zu erleben, ist wunderbar.
Susanne Suermondt: Ich habe das Filmfest gewissermaßen gegründet 2013, in Italien hat das Filmfest 2008 einmal begonnen. Die Gegend um Bad Saarow ist seit Jahrzehnten schon immer ein Ort, der Künstler, Filmemacher und Kulturschaffende gerade aus Berlin magisch anzieht. Natur, Kreativität und Gedankenaustausch finden hier in ganz besonderer Weise zueinander. Daran wollten wir anknüpfen und das inspiriert uns auch immer wieder neu.
Bernd Buder: Seit 1996 bin ich im Team. Damals führte mich meine erste Recherchereise nach Belgrad. 2013 wurde ich dann Programmdirektor, zunächst stellvertretend. Da war das Festival bereits von den Machern zu einem der wichtigsten europäischen Filmfestivals entwickelt worden. Trotzdem ist es herrlich persönlich geblieben, ein Festival zum Anfassen, ohne Allüren begegnen sich Filmschaffende, Publikum und Filmindustrie. Da verbindet sich Brandenburgische Bodenhaftung mit einer Neugier auf das Andere. Es ist in jeder Hinsicht spannend zu erleben, wie global das scheinbar Regionale ist und welche Kraft Filmen inne wohnen kann.
Wie schätzen Sie die Festivallandschaft in Brandenburg ein?
Susanne Suermondt: Ich finde sie großartig. Das breite Themenspektrum, das wir gemeinsam abdecken ist spannend und jeder hat seine ganz spezielle Form der Gestaltung gefunden. Zunehmend gibt es Aktivitäten, neue Programmakzente zu setzen, in dem wir z.B. auch ein Angebot für Schulen haben oder über ein Stipendienprogramm noch mehr junge Leute ansprechen wollen.
Kenneth Anders: Wir fühlen uns im Kreise der anderen Festivals in Brandenburg recht wohl. Es entstehen verschiedene Schwerpunkte, die aber nicht hermetisch gegeneinander abgeschlossen sind. Und keiner missgönnt den anderen ihren Erfolg.
Bernd Buder: Wir haben eine gute Festivallandschaft und unsere Zuschauer, die nicht nur aus dem Land Brandenburg kommen, schätzen neben der überwiegend glamourösen Berlinale gerade unsere themenspezifischen Festivalangebote, die stets besondere Tage der Begegnungen, der Information und der Diskussion sind und nicht vordergründig ein Wettbewerb.
Festivals benötigen eine stabile finanzielle Basis. Sehen Sie die Förderlandschaft im Land Brandenburg als stabil und ausreichend an?
Kenneth Anders: Stabilität ist vielleicht gar nicht wünschenswert, es soll sich ja was verändern und entwickeln. Jede Förderung muss immer wieder neu ausgehandelt und bewertet werden. Daran wirken wir gern mit und wir finden es gut, dass das Medienboard Berlin Brandenburg begonnen hat, die geförderten Festivals zu evaluieren. Dadurch kommt ein Gespräch in Gang und es entstehen filmwirtschaftliche und kulturpolitische Perspektiven.
Bernd Buder: Ich sehe im Land gute Förderchancen, wünsche mir aber mehr Kontinuität. Die jährliche Neubeantragung ist in unseren Augen zu zeit- und personalintensiv. In verschiedenen Ministerien gibt es Förderangebote, auch die Stadt Cottbus ist ein stabiler Partner und die Medienboard-Mittel sind auch für uns sehr wichtig. Wobei wir an diesen Partnerschaften auch den gegenseitigen inhaltlichen Austausch schätzen, der sehr wichtig ist für jede Kulturveranstaltung.
Susanne Suermondt: Ich finde die Fördermöglichkeiten generell gut, aber man muss sich schon sehr intensiv und zeitaufwändig die diversen Fördertöpfe erschließen. Es ist nicht selten wie ein Gang durch ein Labyrinth, wo man nicht genau weiß, ob man wirklich ans richtige Ziel kommt. Nicht immer stehen unser Beantragungsaufwand und der Nutzen, also das finanzielle Ergebnis, bei einem Förderprogramm im richtigen Verhältnis. Die Unterstützung durch das Medienboard ist für uns existenziell, jetzt auch neu für unser Stipendienprogramm.
Über die Länderförderung hinaus brauchen Sie Partner und Sponsoren. Haben Sie genug?
Susanne Suermondt: Genug ist relativ. Wir freuen uns über unsere tollen Partner in der Region, zum Beispiel das Hotel Esplanade, seit diesem Jahr auch die Saarow Therme oder verschiedene Produktanbieter und natürlich Daimler als Hauptsponsor. Wir haben noch viel vor gerade in Sachen Integrationsprojekte wie Workshops für junge Flüchtlinge. Für diese sozialen Projekte brauchen wir ebenfalls neue Partnerschaften und vielfältige Unterstützung.
Kenneth Anders: Tja, was ist genug? Das müssen wir von unseren Zielen her denken. Wenn wir noch mehr Baustellen aufmachen wollen, bestimmte Arbeitsfelder professioneller ausstatten oder in die Nachwuchsfilmarbeit investieren wollen, dann brauchen wir auch mehr finanzielle Mittel. Aber das hängt auch ganz stark von unseren Plänen und unserer Überzeugungskraft ab. Erst einmal sind wir dankbar, dass wir verschiedene Sponsoren haben – öffentliche als auch private aus dem Wirtschaftsbereich und sie uns über die Jahre unterstützt haben.
Bernd Buder: In unserer Region hat sich die Wirtschaftskraft nicht erhöht, der Weggang von Vattenfall hat damals sehr geschmerzt. Nun sind wir auf dem Weg, mit neuen Ideen neue Partner zu suchen und die, die uns schon lange aktiv unterstützen, vom Dabeibleiben zu überzeugen. Starke Inhalte sind dabei die besten Argumente.