1. Herr Kirchhof, Messen und Konferenzen müssen voraussichtlich auch im Jahr 2021 größtenteils virtuell oder hybrid stattfinden. Sie haben technische Möglichkeiten entwickelt, mit denen sich große wie kleine Online-Events realer und attraktiver gestalten lassen. Welche sind das?
    • Wir arbeiten bereits seit Jahren mit Festivals und Konferenzen als Partner zusammen und unterstützen diese dabei, die Inhalte, die mit neuen Technologien in ihr Portfolio passen, in ihr Programm zu integrieren. Das war schon immer sehr unterschiedlich: Während einige Festivals sehr konkret wissen, in welchem Segment sie mit welcher Technologie einen Schritt in die Zukunft – oder besser gesagt aus der Retrospektive – heraustreten wollen, haben manche auch nur das Gefühl etwas tun zu wollen oder zu müssen, wissen aber gar nicht wo sie anfangen sollen und was für sie und ihr bekanntes Publikum sinnvoll ist.
    • Zu Beginn des letzten Jahres mussten viele Festivals umdenken und „digital“ werden, hier ist dann etwas inflationär auch der Begriff von „virtuell“ benutzt worden. Unsere Partner sind diesen Weg tatsächlich gegangen und haben virtuelle Angebote für ihr Publikum umgesetzt – also unsere Plattform für eine digitale und virtuelle Version der Festivals und Konferenzen erstellen lassen. Dadurch wurde es ermöglicht, den sozialen Charakter von realen Treffen deutlich stärker spürbar zu machen und gleichzeitig Content, der nur mit VR-Brillen betrachtet werden kann, zu integrieren. Das funktioniert auch für alle anderen Besucher*innen mit einem Windows-Rechner oder einem Mac – dann natürlich ohne die interaktiven VR-Inhalte, jedoch mit Panels, Keynotes, linearen Videos usw. Kurz zusammengefasst haben wir also ein Betriebssystem und eine Technologie-unabhängige Plattform anbieten können, die auf den Tools basiert, die wir bereits in den Jahren davor entwickelt hatten und die wir nun in einer Lösung gebündelt haben. Gleichzeitig basiert sie aber auch auf unserer Erfahrung als Partner oder einfach als Besucher, Zuschauer oder Panelist von Festivals und Konferenzen in den letzten 20 Jahren.
  2. Vor 10 Jahren haben sich Ihr Unternehmen und das Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut zusammengeschlossen, um gemeinsam den Bereich „Forschung und Entwicklung von Technologien“ voranzubringen. Erzählen Sie uns etwas zu dieser Kooperation. Woran genau arbeiten Sie?
    • Das Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut ist ja ein dezidiertes Forschungsinstitut. Wir haben bereits vor mehr als 10 Jahren an ersten Projekten mitgearbeitet, da aber noch als externer Partner oder Unterauftragnehmer. Seit ca. 10 Jahren arbeiten wir in Projekten als Konsortialpartner mit verschiedenen Fraunhofer Instituten in ganz Deutschland – hauptsächlich aber aufgrund der vielen Schnittmengen und natürlich der regionalen Nähe mit dem HHI. Wir sind auch seit der Gründung des 3IT dort Mitglied und mit mehreren Unternehmen aus diesem Netzwerk in Projekten, teilweise auch Forschungsprojekten tätig.

       

    • Neben verschiedenen Entwicklungen im Bereich Stereo 3D Bildacquise und Verarbeitung arbeiten wir seit beinahe 10 Jahren vorrangig in Projekten zu Technologien im Bereich „volumetric Capture“. Das ist u.a. das Spannende an Forschungsprojekten: Man beginnt mit der Entwicklung lange bevor die Technologie dann zum Einsatz kommt – und hat einen gewissen Know-How-Vorsprung, wenn es dann auf dem sich etablierenden Markt plötzlich weitere Angebote in ähnlicher Richtung gibt. Gerade dann darf man aber nicht aufhören zu entwickeln, sondern muss genau schauen wo in der Anwendung noch neue Entwicklungen notwendig sind, um Qualität und Wirtschaftlichkeit im Einsatz zu optimieren. Vor einigen Wochen haben wir z.B. in dem Bereich ein neues Projekt bewilligt bekommen und können nun mit EFRE-Mitteln weiterentwickeln. Es wird also in den nächsten Wochen und Monaten sicherlich große Fortschritte geben. In diesem Projekt integrieren wir nun KI-Komponenten in die bereits entwickelten und erprobten Workflows, um Ergebnisse zu ermöglichen, welche in bekannten Studioenvironments unmöglich aufgezeichnet werden können.
  3. Wir befinden uns im Superwahljahr. Im Vorgespräch sagten Sie, dass Sie Ihre Branche nicht ausreichend gefördert sehen, dass Ausbildungskonzepte für neue Technologien fehlen oder nur langsam in Schwung kommen. Welche Forderungen und Wünsche stellen Sie an die im Herbst neu gewählte Landespolitik?
    • Ich sehe, dass wir in Deutschland grundsätzlich hinterherhinken, was digitale Technologien angeht –aber nicht nur, sondern auch ganz stark was die Medien angeht. Es gibt kein belastbares Breitbandinternet und ich sehe auch nicht, dass die Politik da eine Verantwortung übernimmt. Es ist sicherlich eine Aufgabe der Anbieter dafür zu sorgen, dass ich als Kund*in ein BVG-Ticket am Berliner Hauptbahnhof mit meinem Smartphone buchen kann – wenn das aber nicht geht, sollte z.B. die Politik tätig werden und sich Gedanken machen, was das eigentlich aussagt. Und ob man unabhängig von den vorhandenen Anbietern ggf. ein eigenes Angebot machen muss, wenn die vorhandenen nicht dem nachkommen, was dringend benötigt wird. Am Ende schadet es allen Wirtschaftsbereichen und auch der Zivilgesellschaft, wenn wir da weiter abgehängt werden.

       

    • Natürlich hätte man längst auch wesentlich stärker in die Digitalisierung von Schulen und Bildungseinrichtungen investieren müssen. Das sehen und erleben wir nun sehr deutlich, was es bedeutet, wenn reagiert wird – und das auch noch langsam – statt proaktiv ein besseres Angebot zu schaffen, welches vielleicht sogar den Angeboten anderer Länder voraus ist. So müssen Schüler*innen aller Alters- und Bildungsgruppen Zugang zu Hardware haben, welche „state of the Art“ ist, und das kann nicht vom Einkommen der Eltern abhängig gemacht werden. Es muss dann aber natürlich auch eine entsprechende Infrastruktur vorhanden sein, die nicht von privatwirtschaftlichen Interessen dominiert und strukturiert wird. Und da sind wir wieder bei der Bandbreite, die so nicht vorhanden ist, zumindest nicht flächendeckend und gleichberechtigt zugänglich.

       

    • Hier muss die Politik einfach mal den Begriff der Datenautobahn mit dem von anderen Autobahnen in Verbindung bringen und eben alle Arten von Autobahnen pflegen bzw. installieren, wenn nicht vorhanden. Ebenso den „digitalen ÖPNV“, welcher zulässt, dass essentielle Dienste jedermann und überall dort, wo es notwendig ist, zur Verfügung stehen. Da könnte und müsste in meinen Augen ein deutlich größeres Augenmerk drauf gelegt werden, wenn wir nicht eine Legislaturperiode später merken wollen, dass wir hier weiter abgehängt wurden und die Digitalisierung einfach nicht zu ignorieren ist.

 

April 2021

Bild: Volker Rebhahn