Eine Rückschau von Max Duhr
Bernd Schiphorst (media:net berlinbrandenburg e.V.) leitete die Diskussion nach der Begrüßung der rund 60 Gäste durch Gastgeber Christoph Wagner (Morrison & Foerster LLP) mit einer Anekdote ein. In Hamburg-Blankenese erhielt Wagenknecht vor einigen Jahren tosenden Applaus von einem Publikum, das man oberflächlich nicht zu den Wählern der LINKE zählen würde. Auch das „Auswärtsspiel“ vor GeschäftsführerInnen und EntscheiderInnen der Digitalen- und Medienwirtschaft meisterte die Spitzenkandidatin der Linkspartei souverän.
Während des Politischen Morgen konnte die promovierte Ökonomin der Runde ihre Standpunkte zu Digitalisierung und Innovation, nicht nur in der Berlin-Brandenburger Medienlandschaft, sondern vor allem mit Blick auf deren Auswirkungen auf die Gesellschaft, darlegen. Fernab von Sorgen über eine soziale Spaltung oder das Aussterben von Berufen sollte die technologische Entwicklung demnach nicht künstlich gebremst, sondern mit konkret gestalteten Regeln in derartige Bahnen gelenkt werden, dass sie allen Menschen ein besseres Leben ermöglicht. Besonders wenn eintönige Jobs durch Automatisierung abgelöst würden, sei dies eher als Chance für eine Gesellschaft zu verstehen, die unter zunehmendem Arbeitsdruck leidet. Bereiche wie Bildung oder Altenpflege aber vertrügen keine Roboter, sondern bräuchten Menschen.
Dass die technologische Entwicklung in Deutschland großenteils von privaten Investoren finanziert werden muss, ist ein Hindernis nicht nur für die hiesige Startup-Branche, sondern trägt auch das Potenzial in sich, Ideen mit Aussicht auf einen besseren Rückfluss denjenigen vorzuziehen, die bessere gesellschaftliche Zustände versprechen. Wagenknecht schlägt hier mehr staatliche Finanzierung von Innovation vor, auch da öffentliches Kapital in der Regel geduldiger ist. Als Beispiel gilt das anfangs hauptsächlich staatlich geförderte Silicon Valley. Gerade diesem aber entsprangen Konzerne wie Apple oder Google, die es zwar ohne staatlichen Anschub nicht gäbe, die nun aber Tendenzen zu globalen Monopolen aufweisen. Statt gewinnorientierten Plattformen sollte Europa diesen am Gemeinwohl orientierte und öffentlich-rechtlich finanzierte Alternativen entgegen setzen.
Das Modell der öffentlich-rechtlichen, gleichwohl vom Staat unabhängigen Unternehmensform schlägt Wagenknecht auch für weitere Bereiche vor. Selbst am Rundfunkbeitrag sollte nicht gerüttelt werden, erfüllen öffentlich-rechtliche Sender doch einen gesellschaftlichen Auftrag — etwa wenn es zur Sensibilisierung gegenüber „fake news“ kommt. Eine beim Staat angesiedelte Behörde wäre hier nämlich äußerst bedenklich.
Auch wenn Wagenknecht mit ihrer Kritik an datenbasierten Geschäftsmodellen wie jenem von Google oder der Vision einer nicht am Gewinn orientierten, nicht Daten auswertenden, sondern gemeinnützigen Alternative zu Amazon nicht immer auf Zustimmung aus der digitalen Wirtschaft stößt, so findet ihr Einsatz für eine pluralistische, innovationsbeschleunigende Wirtschaft, die nebenher durch bessere Regularien Leistung angemessen belohnen soll – sowie letztlich die Einbindung von Digitalisierung und Disruption in ihr Bild einer besseren Gesellschaft -, auch unter den media:net Mitgliedern am Tisch Zustimmung.
Wir bedanken uns bei Dr. Sahra Wagenknecht für ihren Besuch im Berlinale-Trubel am Potsdamer Platz, bei Morrison & Foerster für die Gastfreundschaft und bei allen Gästen für ihre qualifizierten Beiträge zur Diskussion.
Dr. Sahra Wagenknecht (geb. 1969) ist seit Oktober 2015 Co-Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag. Zuvor war sie seit 2011 Erste Stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion und bis 2011 wirtschaftspolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Bevor sie im September 2009 in den Bundestag gewählt wurde, war Sahra Wagenknecht bis Juni 2009 Abgeordnete im Europaparlament. Nach ihrem Studium der Neueren Deutschen Literatur und Philosophie in Jena, Berlin und Groningen, das sie 1996 abschloss, promovierte Sahra Wagenknecht 2012 in Chemnitz in Wirtschaftswissenschaften. Von 1991 bis 1995 und von 2000 bis 2007 war Sahra Wagenknecht Mitglied des Parteivorstands der PDS, später Linkspartei.PDS. Seit Gründung der Partei DIE LINKE im Jahr 2007 gehörte sie bis 2014 dem Vorstand der Partei an, von 2010 bis 2014 war sie stellvertretende Parteivorsitzende. Sahra Wagenknecht ist Autorin diverser Bücher zu wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Themen.