Rückschau von Xenia Günther

Nachdem Andrea Peters (media:net berlinbrandenburg e.V.) den Abend mit begrüßenden Worten eingeleitet hatte, übernahm der Moderator Prof. Dr. Christoph Wagner das Wort und stellte den Gästen Staatssekretär Björn Böhning und seinen Werdegang vor.

Björn Böhning wurde am 2. Juni 1978 in Geldern am Niederrhein geboren. Der 41-Jährige absolvierte sein Abitur am Carl-Jacob-Burckhardt- Gymnasium in Lübeck und studierte ein Jahr später Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin, das er 2004 mit einem Diplom abschloss. Direkt im Anschluss war er drei Jahre lang Juso-Bundesvorsitzender und bis 2011 Mitglied des SPD-Parteivorstandes. Von 2011 bis 2018 war er Chef der Senatskanzlei des Landes Berlin. Seit März 2018 ist er schließlich Beamteter Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

Nach der Vorstellung begann Herr Böhning zunächst mit einem Impulsvortrag. Digitale Arbeit und Digitalisierung – unter den schillernden Begriffen würden sich verschiedene Strömungslinien und Veränderungsprozesse darstellen lassen. Als erstes sei hier der Aspekt der Globalisierung und Internationalisierung zu nennen. Arbeiten heutzutage findet nicht mehr alleine auf dem lokalen Markt statt, sondern würde auch mehr und mehr über internationale Plattformen gesteuert, Distributionswege und Wertschöpfungsketten seien Veränderungen unterworfen. Internationale Kooperationen, aber auch Konkurrenz sind ebenfalls Stichworte.

Das zweite Thema sei der demografische Wandel und die zunehmende Alterung der Gesellschaft. Ein weiterer Aspekt sei der Wertewandel. Fragen nach beispielsweise Kinderbetreuung und Vereinbarkeit, flexiblen Arbeitszeiten und Wechsel zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit sind in der heutigen Zeit für viele Arbeitnehmer*innen von hoher Bedeutung.

Diese Veränderungen von gesellschaftlichen und ökonomischen Prozessen vollzögen sich allerdings in einem rasanten Tempo, denn Digitalisierung überlagert all diese Prozesse. Dies führt dazu, dass Unternehmen einem größeren Anpassungsdruck ausgesetzt sind als je zuvor. Der Aspekt der Automatisierung könne außerdem zu verstärkter Unsicherheit bei den Menschen führen. Aufgrund von Automatisierung, so die Arbeitsmarktprojektion des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, würden bis zum Jahr 2035 in Deutschland rund 4 Millionen Arbeitsplätze wegfallen. Gleichzeitig würden aber auch 3,3 Millionen gänzlich neue Arbeitsplätze entstehen. Die Herausforderung sei nun, die Menschen, deren Arbeitsplätze in Zukunft durch neue Technologien ersetzt werden, in neuen Aufgabengebieten einzusetzen.

„Wir werden künftig also einen enormen inhaltlichen Wandel von Tätigkeiten und daraus resultierend eine Gleichzeitigkeit von Arbeitskräftenachfrage und Arbeitskräfteüberbedarf haben“, so Herr Böhning.

Damit der Fachkräftemangel für die Wirtschaftsentwicklung in Deutschland schlussendlich nicht zu einem Problem wird und zu einem Wohlstandsverlust führt, hat das BMAS zusammen mit anderen Ressorts die Fachkräftestrategie verabschiedet. Der Fokus hierbei liegt dabei auf den inländischen Potenzialen. Qualifizierung und Weiterbildung der jetzt im Berufsleben stehenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bildet hier den Schwerpunkt. Menschen, die ihren Arbeitsplatz durch Automatisierung, Digitalisierung und Einführung von KI verlieren, müssen ermutigt, motiviert und unterstützt werden, um künftig in einem neuen Bereich tätig werden zu können. „Brücken organisieren“ könnte hierbei die zusammenfassende Überschrift lauten. Das Angebot von Qualifizierung und Weiterqualifizierung von Arbeitnehmer*innen müsse in Unternehmen gewährleistet sein, aber die Bundesagentur für Arbeit werde hier künftig stärker unterstützen.

Nach dem Impulsvortrag eröffnete Prof. Dr. Susanne Stürmer das Gespräch und fragte zunächst nach der Funktionalität der „Denkfabrik“ im Arbeitsministerium selbst, die die aktuellen Trends im Arbeitswesen beobachten und Lösungen zur Gestaltung des Wandels entwickeln soll. Seien die neuen Arbeitsweisen, die Herr Böhning im Arbeitsministerium versucht habe einzuführen, erfolgreich?

Neue, agile Arbeitsweisen in ein Bundesministerium einzuführen, so Herr Böhning, wäre ein langer Weg gewesen. Dank guter Startbedingungen funktionierten die Neuerungen nun gut – auch dank moderner Führung. Es sei notwendig, obgleich damit ein Kontrollverlust einhergehe, nur 50% Vorgaben zu machen. Die andere Hälfte müsse von den Mitarbeiter*innen selbst kommen. Dies erfordert vor allem mehr Kommunikation, führt aber auch zu innovativeren Konzepten.

Vieles ließe sich aber in Zeiten des digitalen Wandels auf nationaler Ebene allein nicht regeln, so die Moderatorin Susanne Stürmer. Wie funktioniere da die internationale Zusammenarbeit?

Laut Herrn Böhning gebe es zurzeit vor allem zwei Achsen. Zum einen die Deutschland-Kanada-Achse, zum anderen die intensive Zusammenarbeit mit Frankreich. Verglichen mit den internationalen Systemen in den USA und China, müsse Europa noch stärker seinen eigenen Weg definieren. Herr Böhning unterstreicht, dass Europa mehr Selbstbewusstsein zeigen und eine eigene Form von nachhaltiger Wirtschaftsweise finden muss. Dafür seien Regulierungen notwendig.

Bevor es dahingehend zu weiteren Nachfragen komme, wollte Moderator Christoph Wagner wissen, wie denn die Einschätzung von Herrn Böhning aussehe bezüglich der Arbeitszeiten der Zukunft: Wird es in der digitalen Arbeit eher mehr oder weniger Arbeit geben? Wie wirkt sich die Digitalisierung auf die Lebensarbeitszeit aus?

Untersuchungen gehen davon aus, dass das Arbeitsvolumen, so Herr Böhning, voraussichtlich konstant bleibe. Dies heiße allerdings bei langem nicht, dass auch die Verteilung der Arbeit gleich bleiben würde.

“Die klassische mittlere Arbeitnehmerschicht wird kleiner.” Die Arbeit der Beschäftigten im Segment einfacher Arbeiten auf der einen Seite und im High-End-Bereich auf der anderen Seite entwickle sich dagegen immer stärker auseinander.

„An beiden Polen wächst die Arbeitszeit erheblich. Wir bewegen uns auf eine Spaltung des Arbeitsmarktes zu“, sagte der Staatssekretär.

Viele würden künftig vermehrt „darunter leiden“, dass man mehr arbeitet, was aber nicht bedeute, dass man auch länger arbeitet.

Prof. Dr. Susanne Stürmer lenkte in Zusammenhang mit der neuen Form des Arbeitens auch auf den Bereich des Homeoffice. Die zunächst positive Vorstellung nach mehr Flexibilität und Vereinbarkeit von Beruf und Familie werfe aber langsam auch Schattenseiten. Soll Homeoffice dennoch gestärkt werden?

Das BMAS will, dass künftig mehr mobile Arbeit möglich wird. Wie dies konkret aussehen soll, sollte am besten auf der betrieblichen Ebene geregelt werden – nach Möglichkeit durch Aushandeln von Betriebsrat mit den Unternehmen. Wenn der Betriebsrat mit den Unternehmen eine Rahmenvereinbarung diesbezüglich trifft, soll eine gesetzliche Regulation in diesem Zusammenhang nicht greifen. Gesetzliche Regelungen sollen nur greifen, wenn sich Unternehmen für ein mobiles Arbeiten aufgrund festgefahrener hierarchischer Strukturen nicht öffnen wollen. In Deutschland gebe es derzeit 40% der Arbeitsplätze, an denen auch mobile Arbeit möglich wäre. Aber nur 12% der Arbeitnehmer*innen könnten momentan in Deutschland mobil arbeiten. Dies sei im europäischen Vergleich noch viel zu wenig. Konkrete Regulierungsformen befänden sich noch in Ausarbeitung, ein allgemeines Recht auf mobiles Arbeiten sei aber definitiv vorgesehen.

Insbesondere das letzte Thema beschäftigte viele der anwesenden Gäste. Überwiegend bestand der Konsens darin, dass Fragen nach Heimarbeit vom Markt selbst reguliert werden sollten. Alle Branchen über einen Kamm zu scheren und Entscheidungen auf betrieblicher Ebene durchzusetzen, könne unter Umständen sogar kontraproduktiv sein.

Herr Böhning ist aber überzeugt, dass eine Flexibilisierung nur durch Regulierungsmaßnahmen erreicht werden könne und unterstrich noch einmal den Vorrang betrieblicher Regelungen und eine Arbeitszeitenregelung zusammen mit den Betriebsräten. Würde der Markt alles selbst regulieren können, hätten wir in Deutschland beispielsweise auch auf dem Weiterbildungsmarkt eine deutlich größere Entwicklung zu verzeichnen.

Prof. Dr. Susanne Stürmer nahm den Aspekt der Weiterbildung als Stichwort und hakte bei Herrn Böhning nach, wie realistisch die Forderung nach einem Recht auf Weiterbildung beispielsweise auch in kleinen Unternehmen sei, die zum Teil gar nicht die nötigen finanziellen und personellen Kapazitäten dafür hätten.

Herr Böhning sieht die Weiterbildungsfrage allerdings aus einer anderen Perspektive. Ohne „politischen Push“ würde es in Deutschland auch in Zukunft keine Entwicklung auf dem Weiterbildungsmarkt geben. Alle Unternehmen, von klein bis groß, müssten sich mit der Thematik auseinandersetzen, sonst würde es schwierig werden, eine Weiterbildungskultur in Deutschland zu etablieren, die in Zeiten der Digitalisierung essentiell ist. Auch Hochschulen und Berufsschulen seien in diesem Sinne gefragt unterstützend einzugreifen.

Einigen von den Teilnehmer*innen fehlte es an einer Gesamtstrategie, die Herausforderungen von New Work zu meistern. Fragen wie „Welche konkreten Konzepte gibt es?“ und „In welche Richtung entwickelt sich die Gesellschaft?“ beschäftigten die Runde.

„Wir brauchen sichere Häfen“, so die Antwort des Staatssekretärs. Besonders zwei Modelle seien nun von Bedeutung. Es bräuchte eine Umschulungsgarantie. Beispielsweise über Lohnersatzleistungen sollen Menschen motiviert werden, neue Ausbildungen zu machen. Zum anderen solle es Übergangsmodelle geben, die es ermöglichen, gut in die Erwerbslosigkeit zu kommen. Altersteilzeit ist hierbei ein Stichwort. Konkrete Modelle sind noch in Ausarbeitung.

Abschließend merkte Herr Böhning nochmals an, dass es ohne eine gewisse Rahmengesetzgebung keinen Fortschritt in Sachen Flexibilisierung geben könne.

Wir bedanken uns bei Staatssekretär Björn Böhning für seine Zeit und Diskussionsfreudigkeit und Morrison & Foerster LLP für die Gastfreundlichkeit. Ein großer Dank gilt zudem der Moderatorin Prof. Dr. Susanne Stürmer (Präsidentin der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF) und Moderator Prof. Dr. Christoph Wagner (Partner Morrison & Foerster LLP) sowie allen Gästen für ihr Kommen und ihre Anregungen.

 

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