Eine Rückschau von Xenia Günther
Andrea Peters (media:net berlinbrandenburg e.V.) und Helge Jürgens (Medienboard Berlin-Brandenburg) eröffnen den Abend mit einleitenden Worten und begrüßen die rund 300 Gäste in der AXICA am Brandenburger Tor.
Wir leben im digitalen Zeitalter und das bedeutet vor allem eins: umdenken und auf die kommenden Veränderungen – sei es im Bereich Arbeit, Gesundheit oder Medien – einlassen. Mehr noch: Die Veränderungen als Chance für den Fortschritt wahrnehmen. Daher stand unser 44. mediengipfel dieses Jahr unter dem Motto: „Change as a Chance“.
Nach der Begrüßung übernimmt Jörg Thaudeusz die Moderation und heißt den Gast des Abends auf der Bühne willkommen: Dr. Stephanie Caspar, Vorstand News Media National & Technology der Axel Springer SE.
Gleich zu Beginn des Gesprächs wird deutlich: Mit Dr. Stephanie Caspar hätte kein treffenderer Gast für das diesjährige Thema gewonnen werden können. Sie blickt dem digitalen Wandel nicht nur positiv entgegen. Sie glaubte bereits fest an die Möglichkeiten, die das Internet mit sich brachte, als viele in der Medienwirtschaft die Entwicklung noch als vorübergehenden Hype abtaten. Schon in ihrer Doktorarbeit setzte sie sich mit dem „Internet als Distributionskanal“ auseinander – ein Thema, das damals in ihrem Umkreis noch kaum großartiges Interesse weckte. Ihre berufliche Karriere startete Dr. Stephanie Caspar mit 24 Jahren als Unternehmensberaterin bei McKinsey, bevor sie zu dem Digitalunternehmen eBay wechselte – damals noch nicht viel mehr als ein „digitaler Flohmarkt“. Ein zunächst noch kleines Unternehmen, das innerhalb kürzester Zeit immer mehr an Wachstum gewann. Im Jahr 2009 gründete sie schließlich zusammen mit OTTO den Online-Händler Mirapodo und war dessen Geschäftsführerin – gewissermaßen ihre erste „Startup“-Erfahrung im Sinne von „bei Null anfangen und etwas schaffen, das es vorher noch nicht gab.” Im Jahr 2013 wechselte sie dann zu einem der größten Medienunternehmen Europas, zu Axel Springer. Seit 2018 ist sie im Vorstand von Axel Springer. Seit Januar 2019 verantwortet die promovierte Betriebswirtin den Bereich News Media National und Technologie, zu dem u.a. auch die BILD und die WELT Gruppe gehören. Damit besetzt sie eine einflussreiche Position in einem der größten Medienunternehmen Deutschlands. Mit Dr. Stephanie Caspar als Mitglied des Vorstands ist somit erstmals die übergeordnete Technologie- und Datenstrategie bei Axel Springer auf Vorstandsebene verankert.
„Die anfängliche Fixierung auf Klicks hat den Medien geschadet“
Eine Veränderung, die Frau Dr. Caspar bei Springer beispielsweise angestoßen hat, war die Konzentration auf Klicks zu reduzieren: „Natürlich sind Klicks eine Währung. In der Eindimensionalität sind sie aber schädlich“, so Caspar. Wichtig war ihr, weitere Metriken zu entwickeln, die weitaus mehr über die Qualität der Angebote aussagen. Dazu zählt zum Beispiel auch der „Artikel-Score“, bei dem gehaltvollere Daten anhand u.a. folgenden Fragen gesammelt werden: Wie viele Menschen haben einen bestimmten Artikel zu Ende gelesen? Wie viele der Leser*innen haben daraufhin einen Folgeklick gemacht? Wie viele Menschen haben einen zahlungspflichtigen Artikel abonniert? Wurde das in einem Artikel integrierte Video angeschaut und wenn ja, wie lange? Daten wie diese lieferten eine brauchbare Aussage darüber, was funktioniere und wo Veränderungen angebracht seien. Damit entwickele sich auch im Team eine stärkere Dynamik. Und Redaktionen seien unglaublich gut darin, diese Daten in der täglichen Arbeit zu nutzen.
„Obligation to dissent“
Stichwort Team. „Gehorsam, der folgenlos bleibt, bringt nichts.“ Dr. Stephanie Caspars Anliegen – frei nach dem Motto „obligation to dissent“ – sei nicht, ihren Mitarbeiter*innen pauschal Veränderungen aufzuzwingen, ungeachtet dessen, ob diese auch Sinn ergeben würden. Im Gegenteil: Sie hält ihre Kollegen und Mitarbeiter stets dazu an, ihre ehrliche Meinung zu äußern und nicht aus falscher Scheu oder vermeintlich hohen Barrieren mit Kritik zurückzuhalten. „Eine Kultur, in der Menschen nicht sagen können, sie halten etwas für falsch, egal wie lange sie schon dabei sind oder welche hierarchische Stellung sie bekleiden, ist fatal und funktioniert nicht“.
“Ich verkaufe kein Papier, ich verkaufe Medien“
In Bezug auf die Big Data-Thematik, lenkt Moderator Jörg Thadeusz auf den Print-Bereich bei Axel Springer. Bei der gedruckten Zeitung ließen sich nur schwer Daten von Leser*innen sammeln – habe sich Frau Dr. Caspar also langsam von der klassischen Zeitung verabschiedet? Für Dr. Stephanie Caspar eine vielschichtige Frage. Zum einen käme die Betriebswirtin in ihr durch – mit Zeitungen würde immer noch viel Geld verdient. Eine Vernachlässigung des Printgeschäfts, nur weil auf der Digitalseite Wachstum herrsche, wäre fahrlässig. Zum anderen mache es immer noch einen Unterschied, ob beispielsweise ein Interview auf der Titelseite bzw. gedruckt in der Zeitung erscheine oder nicht. Auf Papier würde ein Beitrag noch immer großes Aufsehen erregen. „So lange unsere Leser und Kunden die Zeitung schätzen und es einen Markt für sie gibt, machen wir mit Begeisterung Zeitungen“, so Caspar.
Eine Frage des Timings
Was reizt Dr. Stephanie Caspar eigentlich an neuen Technologien und woher kommt die Begeisterung dafür? Insbesondere fasziniere Frau Dr. Caspar, wie Technologien unser Leben verändern würden, wie die Menschen darauf reagieren und was das alles bedeutet, wenn man ein Geschäft führt. Bei der Geschwindigkeit der momentanen Veränderungen, frage sich Frau Dr. Caspar, wann diese bei den Menschen ankommen würden und wie man als Geschäftsführer*in das Timing richtig abpassen könne. Geschäftsmodelle, Nutzer*innen und Technologien – wie wird daraus eine Einheit?
„Es gibt nicht den Digitalnutzer“
Ein weiterer wichtiger Punkt, um auf den derzeitigen digitalen Wandel einzugehen, sei es sich vom Bild des einen / der einen digitalen Nutzer* zu verabschieden. Diesen gäbe es laut Dr. Stephanie Caspar nicht. Es gebe dabei auch immer Gruppen von Menschen, die man mit digitalen Angeboten nicht oder nur teilweise erreichen könne. Ein interessantes Segment sei zum Beispiel die „aufmerksame, politisch interessierte Mitte“, vorwiegend männlich und durchschnittlich 58 Jahre alt, deren Mediennutzungsverhalten aus analogem Fernsehen und dem täglichen Zeitungsritual bestehen würde, nur begleitet von einigen Sitzungen am heimischen Computer. Aber auch bei den Digitalnutzer*innen würden sich viele Fragen ergeben: Mit wie vielen unterschiedlichen Formaten und Produkten kann Axel Springer rausgehen, um die verschiedenen Nutzungsverhalten und Interessen abzudecken? In diesem Sinne würden derzeit andere Formen von journalistischen Formaten getestet, um in den unterschiedlichen Segmenten herausfinden, für wen welches Produkt gemacht werden kann. „Dafür müssen Journalist*innen, Produktmanager*innen, Businessleute und Softwareentwickler*innen an einem Tisch zusammenarbeiten.“
„Silo-Denken ist teuflisch“
Bereichsübergreifende Zusammenarbeit ist ein großer Erfolgsfaktor für Innovationen bei Axel Springer und Ausdruck der großen kulturellen Veränderung im Unternehmen . Ein „Silo-Denken“ in allen Bereichen müsse aufgebrochen werden. „Deshalb haben wir zu einer Organisationsform gefunden, in der die Redaktionen zwar getrennt von den Verlagsbereichen arbeiten, aber alle anderen Funktionen, zum Beispiel die der Softwareentwickler*innen, geschlossen für alle zusammenarbeiten.“ Einmal im Monat seien außerdem alle Mitarbeiter*innen zu einem offenen Austausch untereinander eingeladen.
„Veränderungen sind kein Klacks“
Es falle Frau Dr. Caspar diesbezüglich aber auch immer wieder auf, dass die Durchsetzung von Veränderungen kein einfaches Unterfangen ist. Viele Mitarbeiter*innen würden Neuerungen gegenüber verhalten begegnen. Wie nimmt man aber dennoch alle Mitarbeiter*innen mit? „Durch ganz viel Kommunikation und das Angebot von Weiterbildungsmöglichkeiten.“
Nachdem Dr. Stephanie Caspar außerdem in Bezug auf die Gleichberechtigungsdebatte an die Frauen appelliert, mutig zu sein und Karrierechancen unabhängig von Zukunftsfragen im Hier und Jetzt zu ergreifen, möchte Jörg Thadeusz noch abschließend wissen, worüber sich die Menschen in Zukunft besonders wundern werden. „Worüber wir uns am meisten wundern werden, ist, welche Rolle die Sprache einnehmen wird,“ so Caspar. Die Frage, wie Sprache momentan sowohl in der Ansteuerung von Geräten, als auch in der Abrufung von Inhalten unser Leben verändere, treibe sie gerade besonders stark um. Ein weiterer Punkt sei, welche Rolle Künstliche Intelligenz und neue Technologien bei der journalistischen Arbeit spielen würden und damit einhergehend die Frage, wie viel Produktivität von den journalistischen Denker*innen noch herausgeholt werden könne, wenn standardisierte Arbeitsprozesse ersetzt würden.
Wir bedanken uns herzlich bei Frau Dr. Stephanie Caspar für ihre Zeit und das spannende sowie informative Gespräch. Ein großer Dank gilt auch Jörg Thadeusz für die Moderation. Weiterhin danken wir unseren Förderern und Sponsoren und den zahlreichen Gästen für ihr Kommen.