1. Herr Eyerer, vor zwei Jahren ist die Factory Berlin mit den Riverside Studios vereint worden. Erzählen Sie uns doch bitte einmal, welche Beweggründe es für diese Verschmelzung gab, weshalb Sie in diesem Zusammenhang gerne von „Ökosystemen“ sprechen und was es mit dem „Creators Code“ auf sich hat!
    • Die Riverside Studios, die ich mit zwei weiteren Partnern gegründet habe, sind nicht wirklich mit der Factory Berlin vereint worden. Wir haben ein Joint Venture beschlossen: Eine enge Kooperation auf vielen Ebenen. Die Riverside Studios bringen ein weltweites Netzwerk an Künstler*innen und Kreativen mit und vor allem das, was die Factory Berlin in der Startup-Szene geschafft hat: Glaubwürdigkeit in den Bereichen der Kreativwirtschaft und der Musik- und Medienindustrie.
    • In einem ersten Schritt haben wir in unserem Campus am Görlitzer Park eine Fläche, den Creators Lab, erschaffen, auf der Künstler*innen und Musiker*innen wirken, aber auch Member aus der Community an ihren Tech-Projekten arbeiten können. Das Creative Innovation Team, das wir diesbezüglich aufgebaut haben, entwickelte anschließend gemeinsam mit unserer Brand- und Marketingabteilung den sogenannten Creative Code, den wir inzwischen in die gesamte Factory Berlin integriert haben. Er besagt, dass der Austausch zwischen Technolog*innen, Vordenker*innen und Kreativen der Schlüssel zu Innovation ist.
    • Dies leben wir in der Factory Berlin auch ganz praktisch: Wir haben nicht nur ein Artist in Residence Programm für jeweils 25 Künstler*innen aus aller Welt etabliert, die Kunst und Technologie machen, sondern auch diverse weitere Initiativen. Diese Initiativen verbinden unsere Industriepartner*innen, die Startups, aber auch die Member mit den Künstler*innen, die dann zusammen an den jeweiligen Projekten arbeiten. Es geht dabei um Perspektivwechsel und Diversität.
    • Auch in den Riverside Studios haben wir schon vor einigen Jahren angefangen, Residents aus der Techwelt hinzuzunehmen. Wir haben gesehen, wie gut dieser diverse Austausch funktioniert und wie interessiert beide Seiten aneinander waren.
    • Inzwischen planen wir an allen neuen Standorten ein Mini Riverside Studio. In der Hamburger Factory Hammerbrooklyn entsteht derzeit das Erste. Es ist uns sehr wichtig, die kreativen Menschen aus der jeweiligen Stadt anzusprechen und sie für unser spannendes, interdisziplinäres Angebot zu gewinnen. Letztendlich geht es ja auch darum, genau diese Zielgruppe für unsere Events, Programme – z.B. Artist in Residence und Stealth Mode – und Formate zu begeistern und somit eine möglichst diverse, inspirierende Community zu erschaffen, in der sich unsere Member wohlfühlen. Wir möchten allen Macher*innen ein relevantes, das individuell richtige Netzwerk geben, damit sie einfach Antworten und Lösungen finden.
  2. Sie erwähnten gerade den ersten Campus außerhalb Berlins – die Factory Hammerbrooklyn in Hamburg. Welche Pläne verfolgen Sie damit und welche Herausforderungen gibt es beim Aufbau dezentralisierter Netzwerke? 
    • Wir verfolgten bereits 2018 einen Expansionskurs. Die Pandemie hat uns letztes Jahr gezwungen, den Fokus auf eine Restrukturierung zu legen, die wir erfolgreich umgesetzt haben. Wir sind nun unabhängig von den über 400 Events pro Jahr, die wir noch 2019 umgesetzt haben, und können durch den klaren Schwerpunkt auf unser Netzwerk selbstständig wachsen. Unsere Community ist im vergangenen Jahr um über 600 Member gewachsen, obwohl wir durch die Pandemie extreme Einschränkungen im Betrieb unserer Campusse hatten.
    • Auch in anderen Städten möchten wir nun physische Räume anbieten, in denen sich die unterschiedlichsten Perspektiven aktiv austauschen, treffen und zusammenarbeiten können. Hamburg ist der erste Campus außerhalb Berlins und es war sehr wichtig für uns, den Test zu bestehen, zu zeigen, dass wir auch in anderen Städten eine Community aufbauen können. Die Methodik haben wir ja in den letzten neun Jahren gelernt, als Playbook aufgeschrieben und nun zum ersten Mal neu umgesetzt.
    • Wichtig hierbei ist, dass wir nie bei null anfangen. Wir bieten neben den ganzen Formaten und der Erfahrung im Aufbau von solchen Ökosystemen schon von Tag eins an Zugang zu einem starken Netzwerk – unsere derzeit rund 4.500 Member leben und arbeiten zu einem großen Teil in Berlin, in Deutschland und Europa, aber auch auf der ganzen Welt. Wir haben also in Hamburg, zusammen mit den bestehenden Netzwerken und Akteur*innen, angefangen, eine Factory Community aufzubauen und das läuft sehr gut.
    • Eine große Herausforderung waren und sind noch immer die physischen Events unter Corona-Bedingungen. Die Veranstaltungen waren in Berlin ein wichtiger Faktor im Aufbau der Community. Trotzdem haben wir im Mai die Factory Hammerbrooklyn mit einem Online-Event eröffnet und sind inzwischen bei 70 Prozent Auslastung im Gebäude. Wir analysieren zu jeder Stadt, in die wir gehen möchten, welche speziellen Cluster es dort gibt – in Hamburg sind das beispielsweise Logistik, E-Commerce oder Mobilität. Dann setzen auch wir u.a. diese Schwerpunkte in der Community und vernetzen die Cluster komplementär mit den anderen Städten. So entsteht durch unser wachsendes Netzwerk für alle ein großer inhaltlicher Mehrwert.
  3. Bei den High-Noon-Events geht es um die Pläne der Parteien für die Medien-, Kreativ-, Musik- und Digitalwirtschaft – und damit auch um die Zukunft Ihrer Location. Was wünschen Sie sich von der Politik in den kommenden Jahren? Welche Erwartungen haben Sie?
    • Hier muss ich klar sagen, dass wir in Hamburg eine unglaubliche Unterstützung erfahren haben. Insbesondere Michael Westhagemann, Senator für Wirtschaft und Innovation, war vom ersten Tag zur Stelle und hat sämtliche Türen für uns geöffnet. Hier haben wir ein tolles Hand-in-Hand mit der Politik erlebt.
    • Ganz anders ist es in Berlin, wo uns bisher nicht sehr viel Interesse aufgefallen ist. In der Factory Berlin wurden 19 Prozent aller Start-ups in Berlin gegründet (2019). An unseren Standorten in Berlin sind circa 1.500 Unternehmen registriert. Die meisten davon sind ebenfalls bei uns gegründet. Das sind unserer Meinung nach relevante Wirtschaftszahlen.
    • Ich wünsche mir von der Politik klare Signale zur Digitalwirtschaft. Die Kreativwirtschaft ist wohl im Bewusstsein angekommen, so ist zumindest meine Wahrnehmung. Da war es vor ein paar Jahren noch ähnlich. Wir brauchen aber insbesondere jetzt, wo die Techbranche in Berlin so richtig loslegt und boomt, einige Regelungen, die es Gründer*innen leichter macht, hier nicht nur zu gründen, sondern auch hier zu bleiben. Die Digitalwirtschaft ist eine Riesenchance für Berlin!
    • Gerade jetzt wurde etwa die Neuregelung zur Besteuerung von ESOP Shares für Mitarbeiter*innen im Bund so abgeschwächt, dass sie quasi keinen Unterschied zu vorher ausmacht. Das sind leider immer wieder verpasste Chancen, um uns mit den USA und Asien konkurrenzfähig zu machen.
    • Mein Gefühl ist, dass in Berlin die große Bedeutung der Digitalwirtschaft nicht erkannt wird. Das gilt meines Erachtens auch für Deutschland. Ich bin jedenfalls gespannt auf die Pläne der jeweiligen Parteien und wie sie sich hier positionieren werden.

 

August 2021

Bild: (c) Factory Berlin, Cherie Birkner