- Lieber Raphael, was genau ist das Geschäftsmodell von Sirplus?
- Raphael Fellmer: SirPlus revolutioniert zusammen mit der Lebensmittelindustrie das Retten von Nahrungsmitteln. Wir übernehmen überschüssige Lebensmittel entlang der Wertschöpfungskette, also von Produzenten und Logistikern bis hin zum Einzelhändler und bieten sie zu einem schmalen Preis in unserem Food-Outlet Laden in Berlin, per Same-Day-Delivery sowie per Online-Shop an – aber auch B2B-Kunden. 20% aller Lebensmittel spenden wir grundsätzlich an gemeinnützige Einrichtungen wie Flüchtlingseinrichtungen, Stadtmission etc.
- Im zweiten Schritt werden wir einen digitalen Marktplatz aufbauen, um Angebot und Nachfrage von überschüssigen Lebensmitteln systematisch und intelligent zusammenzuführen, also eine Art AirBnB für Lebensmittel. Auf der Plattform können Landwirte, Hersteller und Einzelhandelsketten Waren anbieten und verkaufen. Wir partizipieren an den Transaktionen via Provision, mit Ausnahme von gemeinnützigen Organisationen, denen wir unsere Plattform kostenlos zur Verfügung stellen.
- Klingt eher nach einem NGO als einem Startup. Und damit soll Geld verdient werden?
- Alexander Piutti: Ja wir werden und müssen damit Geld verdienen, um Kosten wie Personal, Logistik, Store etc. zu decken, um unsere digitale Lösung entwickeln zu können und um – nach einer anfänglichen Finanzierung – dann aus eigener Kraft nachhaltig skalieren zu können.
- Unser Geschäftsmodell ist eine Win-Win Situation für alle Teilnehmer. Partner wie z.B. der Großhändler freuen sich, dass sie signifikant Entsorgungskosten sparen, und deren Angestellte auch, da keine genießbaren Lebensmittel mehr in der Tonne landen. Der Endkunde freut sich ebenfalls über perfekt genießbare und günstige Lebensmittel, sogar komfortabel per Lieferung nach Hause. Zuletzt als “stakeholder” natürlich auch Mutter Natur, da wir große Mengen an Ressourcen einsparen werden.
- Das deutsche Lebensmittelrecht ist extrem strikt. Unter welchen Bedingungen darf SirPlus überschüssige, der Lebensmittelnorm nicht entsprechende, sogar abgelaufene Lebensmittel anbieten?
- Raphael Fellmer: Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung darf in Deutschland jeder Anbieter auch Lebensmittel verkaufen, bei denen das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) überschritten ist. Allerdings muss für den Konsumenten klar ersichtlich sein, dass dies abgelaufene Ware ist. Warum das also kaum ein Supermarkt macht, liegt daran, dass in der Regel weniger als 1% der Lebensmittel abgeschrieben, also nicht verkauft werden, da sie das MHD überschritten haben und es ein bedeutender Mehraufwand für den Händler bedeuten würde, diese sensorisch zu prüfen, ob sie noch genießbar sind. Bis zum MHD haftet der Hersteller, danach der Anbieter – ein Risiko, das viele in Abwesenheit von relevanten Prüfprozessen nicht übernehmen wollen – wir schon, da wir den Mehraufwand durch aufwendige Prüfungen in Kauf nehmen.
- Alexander, Du kommst aus der Medienbranche, bist ein erfolgreicher Seriengründer und hast u.a. GameGenetics, einen internationalen Vermarkter für Online- und Mobile-Games, aufgebaut. Mit SirPlus vermarktest Du jetzt aussortierte Lebensmittel. Welche Gemeinsamkeiten haben die beiden Branchen?
- Alexander Piutti: Beides sind anspruchsvolle Marktplatz-Modelle, um gezielt “Supply” und “Demand” zusammenzuführen und das System im Zeitverlauf skalieren zu lassen – und damit ein echtes Problem zu lösen und beiden Seiten klare Benefits zu vermitteln. Digitale Marktplätze konnte ich im Rahmen meiner beruflichen Stationen mehrere erfolgreich in den Markt einführen. Nach schwerer Krankheit im Jahr 2013 habe ich systematisch nach ungelösten “Use Cases” im sozialen Bereich gesucht – was wir nun mit SirPlus im Bereich “food waste” in Angriff nehmen. Ich würde mich gigantisch freuen, wenn uns dies zusammen mit unseren Partnern gelingt!
- Verwerter für aussortierte Lebensmittel gibt es mit der bekannten “Tafel” deutschlandweit in allen Städten. Macht SirPlus der Tafel und damit den echten Bedürftigen nicht Konkurrenz? Platt gefragt, schnappen die hippen Startups den Hartz IV Familien und Bedürftigen jetzt auch noch die Lebensmittel weg?
- Raphael Fellmer: Im Gegenteil. Wir sehen alle Initiativen, die sich für die Wertschätzung von Lebensmitteln einsetzen, als Partner und schätzen das Engagement von Tafeln und “foodsharing” sehr. Wir möchten ergänzend wirken und all diese Initiativen durch Einbindung in unseren Marktplatz stärken, also das “Retten” zu einer systematischen, effizienten und professionellen Aktivität ausbauen.
- Deutschlandweit verschwenden wir 20 Mio. Tonnen Lebensmittel pro Jahr, das entspricht etwa einer LKW-Ladung pro Minute. Es braucht noch viele weitere NGOs und Firmen, die das Thema angehen. Da setzt SirPlus an, indem wir mit unserer Plattform ein effektives Werkzeug schaffen, welches als Infrastruktur bzw. zentrale Anlaufstelle für alle Parteien dient, um überschüssige, aber noch genießbare Lebensmittel erfolgreich in den Kreislauf zurückzubringen und dadurch das Retten von Lebensmitteln mainstream zu machen.
- Auf www.startnext.com/sirplus läuft derzeit eine Crowdfunding-Kampagne. 150.000 Euro lautet das Fundingziel, die Hälfte ist bereits erreicht. Warum soll die Crowd SirPlus unterstützen? Müssten nicht die etablierten Lebensmittelkonzerne für die Verwertung bezahlen? Oder die EU mit ihrer “Bananenkrümmungsverordnung”?
- Alexander & Raphael: Mit SirPlus wollen wir eines der zentralen Probleme unserer Gesellschaft adressieren und lösen, um einen intelligenten Umgang mit Lebensmitteln als elementaren Ressourcen unseres Planeten zu ermöglichen. Jährlich werden 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel verschwendet. Also ein echtes Problem. Wir bieten mit unser Crowdfunding-Kampagne allen interessierten Menschen an, dieses dicke Brett gemeinsam mit uns zu bohren und im Schulterschluss mit der Industrie anzugehen. Durch das Crowdfunding haben wir erfreulicherweise bereits einige zehntausend Euro an Zuwendungen bekommen und über 1.000 Retterboxen verkaufen können – also Pakete mit geretteten Lebensmittel, ähnlich der Gemüsekiste vom Bauern, jedoch mit saisonal geretteten Lebensmittel. Wir freuen uns über weitere Unterstützer der der Kampagne – ggf. aus dem media:net Umfeld – und sagen HERZLICHEN DANK vorab!
Datum: 23.06.2017