1. Der Karneval der Kulturen feierte in diesem Jahr sein 25-jähriges Jubiläum. Zeit, einmal kurz zurückzuschauen: Wo liegen eigentlich die Wurzeln dieses Events und wie kann man die Bedeutung des Events zusammenfassen?
    • Der Karneval der Kulturen entstand Mitte der 90er-Jahre als kreative Antwort auf rassistische Übergriffe in Deutschland – eine kulturelle Intervention von Menschen, die gesagt haben: Wir lassen uns nicht einschüchtern, wir feiern ein friedliches Miteinander, wir zeigen im öffentlichen Raum Zugehörigkeit. Während jede Gruppe auch immer ihre ganz eigenen Themen künstlerisch auf die Straße – oder die Bühnen des Straßenfestes – bringen, ist dadurch der gesamte Karneval an sich ein politisches Statement für Vielfalt, Offenheit, Toleranz und Zugehörigkeit. Hier ist das Manifest der Umzugsgruppen nachlesbar.
    • Wenn man sich die Besucher*innen des Karnevals anschaut, sieht man aber auch hier ganz klar Berlin als Metropole und pluralistische Gesellschaft widergespiegelt. Hier kommen ganz viele Menschen zusammen, die sonst in digitalen Echokammern so vielleicht gar nichts miteinander zu tun haben. Ein Rückzug aus der Öffentlichkeit ist schädlich für Demokratie, gerade in Zeiten der Fragmentierung, wie sie während der Pandemie nochmal deutlicher geworden ist. Wenn online Plattformen Echokammern fördern, muss man im realen Leben gegensteuern.
  2. Welches Fazit zieht ihr von der diesjährigen Ausgabe? Wie viele Besucher*innen sind durch die Hauptstadt gezogen?
    • Die Gruppen und Künstler*innen konnten nach drei Jahren Pandemiepause die 25. Ausgabe des Karneval der Kulturen zusammen mit ungefähr einer Million Besucher*innen und Gästen aus der Politik gebührend feiern. Das Wetter war hervorragend, die Unfallhilfe und unser Sicherheitsdienst meldeten eine sehr friedliche Bilanz – und man konnte es den Menschen ansehen, dass sie den Karneval vermisst haben. Auf dem Rasen in Aktion und in Shanti Town gab es unzählige Angebote, bei denen Besucher*innen selber in ihre Kreativität kommen konnten, und viele der Umzugsgruppen boten After-Partys an, die die Möglichkeit boten, auch nach Festschluss, der ja dieses Jahr eine Stunde früher war, ihre Rückkehr weiter zu zelebrieren.
  3. Ihr wollt in den kommenden Jahren einen intensiveren Austausch mit regionalen Akteur*innen und Netzwerken forcieren. Woraus entstand dieser Wunsch und was versprecht ihr euch davon?
    • Einige der Herausforderungen, die der Karneval der Kulturen als Veranstaltung hat, können alleine nicht gelöst werden. Angefangen bei Nachhaltigkeit bis hin zu Besucherkonzepten, die auch inhaltlich noch mehr das Potenzial dieser Intervention entfalten können. Beispiel Mehrweggeschirr: es gibt keinen Anbieter in Deutschland, der dies für ca. eine Million Besucher*innen anbieten könnte. Was gibt es da für Möglichkeiten? Dasselbe gilt für Fäkalien – wie kann man damit noch besser umgehen und im besten Falle in einem Kreislaufmodell denken?
    • Der Karneval kann an sich als Fallstudie für Herausforderungen dienen, die es so ja auch für andere öffentliche und nicht-öffentliche Veranstaltungen gibt. Wir sind also im Gespräch mit Initiativen und Thinktanks wie Agrathaer, Circular Futures, Mehrwegverband Deutschland, One Resilient Earth, dem Netzwerk der Wärme oder einer Initiative von BMW Stiftung und dem Othering and Belonging Institute, um nur ein paar zu nennen, um dort gemeinsam nach systemischen Lösungswegen zu suchen. Der Karneval der Kulturen wird zu Recht als große Leuchtturmveranstaltung wahrgenommen – er ist aber darüber hinaus auch ein Netzwerk von vielen Akteur*innen, die über das Jahr hinweg sozio-kulturelle Arbeit in der Stadt leisten. Dies ist eine weitere Perspektive, die stärker zur Geltung kommen muss, um das Potenzial des Karnevals richtig zu begreifen. Hier sind wir auch dabei, nach den passenden Unterstützungsformaten zu suchen.

 

Juni 2023