- 10 Jahre HPI School of Design Thinking: Herr Weinberg, was hat sich in den Jahren bewegt? Wie viele Studierende aus welchen Disziplinen haben Ihr Innovationstraining durchlaufen und welche Branchen deutlich verändert?
- Seit 2007 haben wir an der HPI School of Design Thinking (D-School) mehr als 1.000 Studierende aus den verschiedensten Fachrichtungen von Informatik über Maschinenbau, Wirtschaftswissenschaften oder Medizin, Architektur oder Design, bis hin zu Jura oder Soziologie, aber auch Politik und Medienwissenschaften in Design Thinking trainiert. Im Durchschnitt repräsentieren 120 Studierende im Semester ca. 70 Fachdisziplinen, ca. 60 Hochschulen und ca. 20 Nationen. Anfangs haben wir unseren Schwerpunkt auf die Studierenden und auf Innovationen rund um Produkte und Services gelegt. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass Design Thinking auch für die Entwicklung und das Redesign von Businessmodellen interessant ist. Unsere kleinen, multidisziplinären Teams arbeiten also mit Partnern daran, innovative Lösungen für reale Probleme zu finden. Es gibt die Arztpraxis, die zu uns kommt und fragt, wie wir den Warteprozess für ihre Patienten verbessern können. Oder die Verbraucherzentrale, die nach Möglichkeiten sucht, Fake-Produkte in Online-Portalen zu identifizieren. Oder ein Automobilzulieferer, der nach Ideen für Innenräume selbstfahrender Autos forscht. Diese enge Zusammenarbeit mit Partnern hat übrigens auch dazu geführt, dass wir von Anfang an nicht nur Studenten, sondern im Rahmen spezieller Ausbildungsmodule auch sehr viele Führungskräfte in Design Thinking ausgebildet haben mit einem Durchlauf von mittlerweile 4.000 Teilnehmern jährlich. Viele unserer Absolventen gründen Start-ups oder gehen in die Wirtschaft und nehmen die D-School-Denke und das Arbeiten im Team mit. So transportieren wir den Modus-Wechsel in Unternehmen und Organisationen in Deutschland und Europa und machen sie innovativer.
- Verwaltung und Bildung gelten, so die Meinung einiger Wirtschaftsexperten, als innovationszögerlich, unbeweglich, zu hierarchisch, Teamwork-feindlich. Wie ist Ihre Sicht? Welche Branchen sind beim HPI d.confestival vom 14.-16. September im Fokus? Auch Politik und Verwaltung?
- Während des d.confestivals werden Konzerne aus verschiedenen Branchen wie Bosch oder SAP ihre Erfahrungen mit dem Einsatz von Design Thinking teilen, aber auch mittelständische Unternehmen wie Rehau. Aber auch in Politik und Verwaltung trifft das innovative Mindset des vernetzten Denkens und Handels, das wir an der HPI D-School lehren, auf zunehmendes Interesse. So wird etwa Dr. Max Neufeind aus dem Bundesmininsterium für Arbeit und Soziales beim d.confestival von einem Projekt zur Zukunft der Arbeit berichten, das mit Studierenden der HPI D-School durchgeführt wurde, und DGB-Chef Reiner Hoffmann wird über die Herausforderungen für Gewerkschaften in einer immer stärker vernetzten Welt sprechen. Wir werden aber auch zeigen, dass es in der Bildungslandschaft kreative Köpfe gibt, die Schulen und Hochschulen umwandeln wollen oder dies bereits tun. Für Camilla Rye Jørgensen vom Lyngby Gymnasium KNORD in Dänemark ist es beispielsweise wichtig, dass ihre Schüler in der Oberstufe ein innovatives Mindset festigen. Dazu hat sie Design Thinking in ein Lehrmodell für weiterführende Schulen übersetzt, mit dem Ziel eine Generation kreativer und lösungsorientierter zukünftiger Arbeitnehmer und Arbeitgeber auszubilden. Elias Barrasch vom Education Innovation Lab in Berlin entwickelt zusammen mit Pädagogen, Designern, Schülern und Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft kontextorientierte Lernformate und -materialien. Die Projekte des Labs beschäftigen sich beispielsweise mit selbstgesteuerten Lernprozessen und Umgebungen zum selbstorganisierten Lernen. Auch der Zukunftsforscher Peter Spiegel wird uns erzählen, warum erfahrungsorientiertes Lernen im WeQ-Modus, bei dem man seine eigenen Fähigkeiten und Stärken kennenlernt, heute wichtiger ist als Wissensanhäufung im IQ-Modus. Und Prof. Dr. Jörg Winterberg wird davon berichten, wie er Deutschlands größten privaten Hochschulverbund, die SRH, in eine auf Kompetenzen orientierte Richtung umbauen will. Diese Ansätze sind sehr inspirierend und immer mehr Bildungseinrichtungen erkennen, dass fächerübergreifende Projektarbeit in kleinen Teams ihre Schüler kreativer macht, vernetzter denken lässt und besser auf die Zukunft vorbereitet als sie zu Individualisten im ständigen Konkurrenzkampf auszubilden.
- Seit 10 Jahren pendeln Sie zwischen China und Deutschland. Was können wir in Punkto Innovation von China lernen, was die Chinesen von uns? Sind Freiheit und Demokratie als Innovationstreiber nicht notwendig oder gar hinderlich, weil zu viel Diskussion, zu wenig Entscheidung?
- Zunächst einmal kann man sagen, dass die grundsätzliche Denkwelt, in der ein chinesisches Kind aufwächst, viel stärker durch Assoziationen geprägt ist als die eines westlichen Kindes und damit viel mehr mit vernetztem und nicht mit trennendem Denken zu tun hat. Daher war es für mich auch nicht überraschend, dass das Design Thinking-Programm, was wir 2012 gemeinsam mit der Communication University of China in Beijing gestartet haben, auf extrem fruchtbaren Boden gefallen ist. Ich glaube, wir werden in den nächsten Jahren jede Menge spannende Innovationen aus China sehen, die sehr stark aus der größeren Vernetzungsbereitschaft der chinesischen Kultur kommen. Für deutsche Unternehmen ist das komplizierter, weil wir uns aktiv aus einer „Silo-Tradition“, dem „Brockhaus-Denken“* wie ich es nenne, herausbewegen müssen. Für Chinesen ist es eher so, dass sie lediglich einen westlichen Überbau abzuschütteln haben, und das soll schon möglichst früh beginnen. So wird beim d.confestival YouthMBA, ein Startup aus Guangzhou, zeigen, wie man Design Thinking auch mit Schulkindern sehr erfolgreich praktizieren kann. China ist ein gutes Beispiel dafür, dass man einen relativ rigiden Staatsapparat haben kann, der gleichzeitig an bestimmten Stellen Freiheiten lässt, die dazu führen, dass gesamtgesellschaftlich eine positive Entwicklung passiert – jedenfalls für einen Großteil der Menschen. Ich bin immer noch stark beeindruckt von meiner letzten Reise nach China, zu der mich CEO Chang Ruimin eingeladen hatte. Er leitet seit Mitte der 80er Jahre die Firma HAIER in Qingdao, mittlerweile ein Großkonzern und Weltmarktführer für Haushaltsgeräte und Elektronik. Dieses 90.000-Mann-Unternehmen, immerhin so groß wie Audi, baut er gerade komplett um in ein, wie er es nennt, „Ökosystem von Mikro-Unternehmen“ – 900 dieser Mikro-Unternehmen gibt es bereits. HAIER bewegt sich mit radikalen Veränderungsprozessen in eine vernetzte Arbeitskultur, wie ich sie noch bei keinem westlichen Großunternehmen erleben konnte. Das Unternehmen wird zu einem offenen Ökosystem mit sehr innovativem Klima – für mich ein Vorbild dafür, wie sich Unternehmen im 21. Jahrhundert aufstellen sollten.
- *U. Weinberg: “Network Thinking – Was kommt nach dem Brockhaus-Denken?“, Hamburg, Murmann Publishers 2016.
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Datum: 24.08.2017