- Frau Wagenknecht: Die Digitalisierung verschiebt manche Arbeitsplätze in Billiglohnländer. Das “Back-Office” einiger Unternehmen zur Datenerfassung, Buchhaltung und Programmierung steht Dank superschnellem WLAN in Asien. Das schafft auch Angst, denn Arbeitsplätze in Deutschland gehen verloren. Welche Antworten haben Sie auf die rapiden Veränderungen unserer Arbeitswelt?
- Dass immer mehr Menschen ihre Arbeit am PC erledigen, ist ja keine so neue Entwicklung. Außerdem werden im Zuge der Digitalisierung nicht nur Arbeitsplätze vernichtet, sondern auch neue geschaffen. Wir sollten uns von dem Irrglauben lösen, dass die technologische Entwicklung für Fehlentwicklungen verantwortlich ist. Nicht Maschinen, sondern Menschen entscheiden über den Einsatz von Technik und die Organisation von Arbeit. Die zentrale Antwort liegt aus meiner Sicht in der Verkürzung der gesellschaftlichen Arbeitszeit. Wenn dank der Digitalisierung die Arbeitsproduktivität in einer Gesellschaft steigt, müssen wir darum kämpfen, dass dies zu mehr Freizeit und Freiheit für alle Menschen führt. Auch das Motto vom lebenslangen Lernen muss mit Inhalt gefüllt werden indem man den Beschäftigten mehr Möglichkeiten zur Weiterbildung gibt und indem man allen Erwerbslosen eine gute Umschulung ermöglicht. Schließlich müssen die Arbeitsverhältnisse in der digitalen Wirtschaft stärker reguliert werden. Es muss selbstverständlich werden, dass es auch dort Betriebsräte gibt und dass anständige Tariflöhne und Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden.
- Gates, Zuckerberg, Silicon Valley und Apple stehen praktisch synonym für Innovation. Die bekannten Garagengründer haben in den vergangenen 20 Jahren tausende von Startups angestoßen und inspiriert. Und das weltweit. Das digitale Ideennetzwerk schafft Jobs, es verbindet Menschen, hat aus einigen Milliardäre gemacht. Gleichzeitig sind manche Digitalunternehmer philanthropisch hochaktiv, sorgen mit ihren Stiftungen für bspw. mehr Bildung oder eine bessere Gesundheitsversorgung. Sind das für Sie Vorbilder einer besseren und gerechteren Gesellschaft?
- Dass der Gründer von Facebook, Mark Zuckerberg, seine Anteile am Unternehmen im Wert von 45 Milliarden US-Dollar in eine Art Stiftung überführt hat, zeigt, dass er selbst ein Bewusstsein davon hat, dass weltumspannende soziale Netzwerke und digitale Infrastrukturen nicht in privaten Besitz gehören. Leider ist er nicht konsequent genug, um auf das Eigentum und die Kontrolle dieser Stiftung zu verzichten. Unsere Kommunikationsinfrastruktur ist von derart großer Bedeutung, dass sie öffentlich organisiert werden muss und nicht Profitinteressen unterworfen sein darf. Zumal wir es hier teilweise mit privaten Monopolen zu tun haben, die aus der Verwertung der Daten von Milliarden Nutzern ihren Profit ziehen. Wollen wir wirklich in einer Welt leben, in der Konzerne wie Google, Facebook, WhatsApp oder Amazon unsere Kommunikation kontrollieren können, in der sie über unsere Freunde, unsere Einkäufe, unseren Gesundheitszustand und unseren jeweiligen Aufenthaltsort Bescheid wissen? Ich denke, dass wir dem massenhaften Datendiebstahl endlich Einhalt gebieten müssen. Aus dem Internet der Konzerne muss ein demokratisches Netz werden, in dem unsere Daten vor fremdem Zugriff – seien es Werbeagenturen oder Geheimdienste wie der NSA – geschützt sind. Ein Vorbild in diesem Sinne ist für mich der Whistleblower Edward Snowden, der die weltweiten Überwachungs- und Spionagepraktiken öffentlich gemacht hat und nicht Leute wie Bill Gates oder Mark Zuckerberg, deren Konzerne am PRISM-Programm zur umfassenden Überwachung der digitalen Kommunikation teilgenommen haben.
- Der Cloud sei Dank können wir unsere privaten Bilder und Filme bspw. auf Google Photos organisieren, katalogisieren und speichern. Aufwendiges Archivieren war gestern. 1-Click Einkaufen ermöglicht schnelleres und einfacheres Shoppen, denn Amazon hat meine Daten. In Singapur gibt es keine langen Bürgeramtswartezeiten und Terminengpässe wie in Berlin. Das praktische eCitizen-Portal verwaltet meine Daten: Geburtsurkunde, Pässe, Führerschein, Steuerklärung. Wie kann moderner, sicherer und selbstbestimmter Datenschutz in Zeiten von globalen Überwachungsaffären aussehen, wenn wir als Privatperson, als Unternehmen unsere Daten einer Cloud anvertrauen?
- Die zentrale Frage ist, wem man seine Kommunikation und seine Daten anvertraut. Der weltgrößte Anbieter von Cloud Computing ist der Internetriese Amazon, also ein Konzern, der mit dem NSA, dem Pentagon und anderen US-Behörden im Geschäft ist und der kaum Informationen darüber preisgibt, was er mit den Nutzerdaten so alles anstellt. Die Bestimmungen zum Datenschutz sind in den USA ja nicht nur viel laxer als in Deutschland. Inzwischen ist ja nicht mal mehr gewährleistet, dass in die USA übermittelte Daten von EU-Bürgern wenigstens dem US-amerikanischen Datenschutz unterliegen. Statt auf obsolet gewordene Abkommen wie den “Privacy Shield” mit den USA zu vertrauen, müssen die Anbieter von Clouds endlich dazu gebracht werden, Lösungen anzubieten, die den europäischen und deutschen Bestimmungen zum Datenschutz genügen. Darüber hinaus sollten wir dringend darüber nachdenken, ob die Infrastruktur des 21. Jahrhunderts tatsächlich bei privaten US-Konzernmonopolen am besten aufgehoben ist. Ich denke, man sollte die Netzinfrastruktur – also große Netz- und Rechenkapazitäten, aber auch Datenspeicher, Suchmaschinen oder zentrale Software – in öffentlicher Regie betreiben. Wenigstens sollte es vergleichbar dem Rundfunk und Fernsehen eine starke öffentlich-rechtliche Säule geben, die einer demokratischen Kontrolle sowie der Aufsicht durch professionelle Datenschützer unterliegt.
Datum: 17.02.2017