1. Herr Geisel, viele junge, qualifizierte und talentierte Menschen finden den Weg nach Berlin vor allem wegen der Attraktivität der Stadt, den urbanen Gestaltungsmöglichkeiten – und verzichten für ein Lebensgefühl zuweilen auf höhere Gehälter. Doch just diese kreativen und „unentwickelten“ Anziehungsorte stehen zunehmen in der Gefahr, Opfer der selbst-angestoßenen Attraktivität zu werden. Wie wahren Sie hier die Balance, damit Berlin spannend bleibt?
    • Bis 2030 sollen laut der aktuellen Bevölkerungsprognose weitere 250.000 Menschen nach Berlin kommen. Das derzeitige Wachstum zeigt: wir erreichen diese Zahl wohl bereits 2019 und in 15 Jahren werden voraussichtlich mindestens 400.000 Menschen mehr in unserer Stadt leben. Diese Entwicklung bedeutet nicht nur eine gewaltige stadtplanerische Herausforderung, sie birgt auch große Chancen, denn Berlin steht für Vielfalt, Innovation, Weltoffenheit und Lebensqualität. Die deutsche Hauptstadt, als Standort von Kultur, Bildung, Wissenschaft und Forschung, wird immer interessanter. Das ist für unser Stadtleben eine große Bereicherung. Dennoch müssen wir uns über die existierenden Freiräume Gedanken machen. Ein wichtiger Punkt ist die Abkehr von der alten Liegenschaftspolitik. Wir verkaufen landeseigene Flächen nicht mehr an die Meistbietenden, sondern an die mit dem besten Konzept – in sozialer, kultureller und gesellschaftlicher Sicht.
  2. Es wird oft von der „wachsenden Stadt“ Berlin gesprochen. Und tatsächlich: Die Wirtschaft zieht an, der Strom an Neuankömmlingen will nicht abreißen und der Platz im Zentrum wird allmählich knapp. Nicht nur bezahlbarer Wohn- sondern auch Büro- und Arbeitsraum wird insbesondere für Kreative und Startups immer schwieriger zu finden. Mit welchen Konzepten begegnet Ihre Verwaltung dieser Entwicklung?
    • In einer wachsenden und immer dichter werdenden Stadt gibt es zwangsläufig Interessenskonflikte – zum Beispiel zwischen Anwohnern und Clubs oder anderen Kreativen Räumen. Das entspannte und positive Miteinander ist eine Berliner Stärke, die wir bewahren und fördern wollen. Wir haben dafür das sogenannte Clubkataster ins Leben gerufen. Es soll dazu dienen, bei Bauvorhaben und -planungen die Interessen aller Involvierten besser berücksichtigen zu können und bestehenden Clubs Bestandschutz zu ermöglichen. Das Clubkataster ist ein Projekt der Musicboard Berlin GmbH, das von der Clubcommission umgesetzt wird. Es handelt sich um ein Verzeichnis von Räumen und Flächen der Berliner Musik- und Kreativwirtschaft. Jeder der hier neu bauen will, kann sich darüber informieren, in welcher Nachbarschaft er es tut und entsprechend planen, etwa beim Schallschutz.
  3. Herr Geisel, nur 5% des Verkehrswachstums im letzten Jahr gehen auf den Autoverkehr zurück, 95% auf alternative Fortbewegungsmittel wie den ÖPNV, das Fahrrad oder den Fußweg. Besonders in der Wirtschaft ist „Smart City“ mittlerweile ein großes Thema. Welches Potenzial sehen Sie, um dem Verkehrsaufkommen in Berlin Herr zu werden und die Mobilität der Stadt langfristig umwelt-, menschen- und verkehrsgerecht zu gestalten?
    • Das Mobilitätsverhalten ist ein Ausdruck des Zeitgeistes. Berlin ist da wieder ganz vorne. Der Anteil des Autoverkehrs sinkt kontinuierlich. ÖPNV, Fahrrad- und Fußverkehr steigt an. Das heißt aber nicht, dass wir in Zukunft keine Straßen mehr brauchen. Was macht eine lebenswerte Stadt aus? Ich sehe da ein Berlin, das eine intelligente Kombination von verschiedenen Mobilitätsarten hat und kluge Antworten findet, wie wir den demografischen Wandel in der Stadt abbilden. Ich wünsche mir, dass wir es weiterhin schaffen, den sozialen Ausgleich in Berlin zu bewahren, so dass Menschen mit unterschiedlichen Einkommens- und Lebensverhältnissen in allen Teilen der Stadt leben und sich bewegen können. Das macht Berlin so attraktiv im Unterschied zu anderen europäischen Metropolen.

 

Datum: 02.10.2015